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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition)
Autoren: Alina Bronsky
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ging. Mein Vater argumentierte, in den Zeiten der Normalität gehöre es zu den wichtigsten Kompetenzen überhaupt. Dabei suchte ich auch sonst nicht gerade Streit, weder auf dem Lyzeum noch zu Hause.
    Wahrscheinlich war Konfliktvermeidung das Lieblingsfach meines Vaters in der Schule gewesen, denn bei den Streitereien mit meiner Mutter hatte er nie eine besonders gute Figur gemacht. Sie dagegen konnte richtig laut werden. Manchmal krachten Teller gegen die Tapete, während mein Vater seinen Kopf mit den Händen schützte und meine Mutter mit hoher Stimme an die dünnen Wände in unserer Straße erinnerte. Als ob sie in solchen Momenten klar denken konnte.
    »Deine Mutter ist nicht da, na und?«, sagte jetzt der Polizist. »Weißt du, meine Kleine, es passiert manchmal, dass Frauen keine Lust mehr haben und einfach gehen. Wenn du erwachsen bist, wirst du das besser verstehen.« Er lachte.
    »Und wer hat hier dann gekämpft?«, fragte ich.
    »Wo?« Der Mann in der Uniform sah sich um. Ich folgte seinem Blick und bekam das Gefühl, dass man mich übel reingelegt hatte. Das Zimmer sah inzwischen fast so aus wie immer, nur Zeros Tschilpen fehlte.
    »Ich hab es doch mit meinen eigenen Augen gesehen«, sagte ich. »Hier war alles komplett verwüstet.«
    Der Polizist winkte ab. »Ach das. Nichts weiter als ein Hausdieb, ein armseliger Freak, der durchs offene Fenster geklettert ist und Geld und Elektronik gesucht hat. Wahrscheinlich war er wütend, dass er nicht so viel finden konnte wie erhofft, und hat ein paar verärgerte Grüße hinterlassen. Das kennen wir zur Genüge. Die Drogenabhängigen unter den Freaks werden zu immer größerem Problem.« Der Polizist seufzte und hob einen zerrissenen Buchrücken hoch, den seine Kollegen auf dem Boden übersehen hatten.
    Ich schwieg. Was sollte ich dazu auch sagen?
    Ein Hausdieb, der in ein Haus in unserer Gegend einbricht, und das zu einer Tageszeit, in der alle Frauen das Essen kochen und aus den Küchenfenstern jedem neuen Autokennzeichen auf der Straße nachgaffen? Das musste, wennschon, ein sehr blöder Hausdieb gewesen sein. Oder ein komplett zugedröhnter.
    »Jetzt wird zur Sicherheit noch das Schloss ausgetauscht und dann ist alles wieder normal«, sagte der Polizist und die Goldzähne leuchteten so grell in seinem Lächeln auf, dass ich die Augen schloss.
    »Und meine Mutter?«, fragte ich.
    »Tja, Mamas kommen, Mamas gehen.« Er brach in schallendes Gelächter aus, das wohl sogar meinem Vater zu viel war.
    »Geh auf dein Zimmer und mach deine Hausaufgaben«, sagte er brüsk, als wäre ich an allem schuld. Ich tat, was er sagte, weil ich nicht wollte, dass jemand von ihnen meine Tränen sah.

Eine Phee
    Ich wollte zu gern glauben, dass meine Mutter freiwillig aus dem Haus verschwunden war und bald wiederkommen würde. Aber sosehr ich mich auch um diese Vorstellung bemühte, sie schien einfach absurd. Ich hatte nicht einmal einen Hausschlüssel dabei und meine Mutter wusste das. Sie ging so gut wie nie aus dem Haus. Am Morgen hatte sie noch vorgehabt, den ganzen Tag zu malen, bis wir aus der Schule kamen. Zuerst Kassie und Jaro, weil ich an diesem Tag normalerweise Nachmittagsunterricht hatte, der aber diesmal ausgefallen war. Meine Mutter war zuverlässig, auch wenn mein Vater gern versuchte, sie als jemanden darzustellen, der am Abend nicht mehr wusste, was er am Morgen gesagt hatte.
    »Hör auf, so von ihr zu reden!«, brüllte ich, als unser Vater am Abend nach Mamas Verschwinden meinen kleinen Geschwistern erzählte, dass unsere Mutter höchstwahrscheinlich spontan zu einer Reise aufgebrochen sei. Sie neige ja zu schrägen Ideen, sagte er, vielleicht habe sie jemanden kennengelernt, man wisse nie, was in ihrem Kopf vorginge.
    In meinem eigenen Kopf pulsierte es vor Wut.
    Mein Vater und meine beiden Geschwister saßen am Küchentisch, Jaro mit gerundeten Augen, angespannt wie ein Flitzebogen, Kassie zurückgelehnt, ein Auge zusammengekniffen. Mein Vater erzählte ihnen, was vorgefallen war. Seine Version davon. Er versuchte es jedenfalls. Ich ging dazwischen, ich konnte das nicht mit anhören.
    »Das ist Schwachsinn. Mama hätte sich nie einfach so aus dem Staub gemacht! Sie hat sich immer auf ihre Woche mit uns gefreut, und wenn du dran warst, hat sie uns vermisst! Sie hat uns bloß nicht ständig so vollgejammert wie du!«
    Mein Vater hielt im Satz inne und sah mich mit einer Mischung aus Ärger und Überraschung an. Meine Geschwister schwiegen verängstigt und
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