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Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Titel: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Autoren: Johann Gottfried Seume
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der Franzosen recht hatte, ist eine andere Frage: aber in seiner Freude bei der furchtbaren Krise des Vaterlandes lag ein großer Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat als die verlorenen Schlachten.
    Unsere guten Freunde jagen uns hier Angst ein, daß rund umher in der Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten unsere guten Freunde nun wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leitmeritz sollen über hundert sitzen und in Prag nicht viel weniger. Die Auflösung der militärischen Korps ist immer von solchen Übeln begleitet, so wie bei uns die Einrichtungen gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und verlasse mich etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit dem ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen nachstoßen kann. Freund Schnorr wird auch das Seinige tun; und so müssen es schon gut drei bewaffnete, entschlossene Kerle sein, die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus, als wenn wir viel bei uns trügen, und auch wohl nicht, als ob wir das wenige, das wir tragen, so leicht hergeben würden.

Znaim

    Wir nahmen den Segen unserer Freunde mit uns und pilgerten von Prag aus weiter. Wo ich nichts gesehen habe, kann ich Dir natürlicherweise nichts erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir Schinken oder Wurst oder beides zugleich aßen, kann Dir ziemlich gleichgültig sein.
    Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir durch Kolin und durch die Gegend des Schlachtfeldes gingen. Daun wußte alle seine Schlachten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen, und Friedrich erfuhr mehr als einmal das gewaltige Genie dieses Kunktators. Wäre er bei Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine zweite Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von Kolin bis Czaßlau kam mir sehr angenehm vor; vorzüglich geben die Dörfer rechts im Tale einen schönen Anblick. Die vorletzte Anhöhe von Czaßlau gewährt eine herrliche Aussicht rechts und links, vorwärts und rückwärts, über eine fruchtbare, mit Dörfern und Städten besäte Fläche. Mich deucht, es wäre hier einer der besten militärischen Posten, so leicht und richtig kann man nach allen Gegenden hinabstreichen; und mich sollte es sehr wundern, wenn der Fleck nicht irgendwo in der Kriegsgeschichte steht. Nicht weit von Kolin aß ich zu Mittage in einem Wirtshause an der Straße, ohne mich eben viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer eigenen, sehr gemischten Stimmung; nicht ohne einige Wehmut, unter den furchtbaren Szenen der Vorzeit; da tönte mir aus der Ecke des großen, finstern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach magische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit: ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin saß an einem helleren Fenster uns gegenüber und trocknete sich die Augen, und ein junges, schönes Mädchen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit Mienen und Worten sanft zuzureden. Ich verstand hier und da in der Entfernung nur einiges aus der Ähnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weißt, ehemals etwas zu lernen genötigt war. Die Empfindung bricht bei mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität allmächtig hinreißt. Ich helfe, wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein goldhaariger junger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken und ihre eigentümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den eigentlichen Namen nicht nennen; am ähnlichsten war es der russischen Balalaika.
    Mich deucht, schon andere haben angemerkt, daß die Straße von Prag nach Wien vielleicht die befahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle, aber die meisten brachten Mehl in die Magazine bei Czaßlau und weiter hin nach der Grenze. Die böhmischen Wirtshäuser sind eben nicht als die besten in Kredit, und wir hatten schon zwischen Dresden und Prag einmal etwas zynisch essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns, daß wir in Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden würden; aber nie wurde eine so gute Hoffnung so schlecht erfüllt. Wir gingen in zwei, die eben keine sonderliche Miene machten, und konnten keine Stube erhalten; die Offiziere, hieß es, haben auf dem Durchmarsche alles besetzt. Das mochte vielleicht auch der
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