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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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mich an Nachbarhause zugeloste Stube einem jungen Mann überließ, welcher das Mädchengelass erlost hatte. Indes die Hauptsache ist doch, das wir beide zusammen geblieben sind.
    Allen Eheleuten ist ein entsprechender Zimmertausch freilich noch nicht geglückt. Manche geben sich vielleicht auch keine rechte Mühe, wieder zusammenzukommen. Die Ehe ist Privatsache und deshalb können von Amtswegen nicht besondere größere Wohnungen für Eheleute und kleinere Wohnungen für Einzelpersonen verlost werden. Wäre letzteres der Fall, so würde ja beispielsweise die Auflösung einer Ehe, welche doch an jedem Tage möglich sein soll, bis zum Freiwerden von Wohnungen für Einzelpersonen hinausgeschoben werden müssen. Jetzt dagegen kann jede bei Eingehung der Ehe nach privater Entschließung von zwei Personen zusammengelegte Wohnung ebenso wieder bei Auflösung der Ehe in ihre beiden ursprünglichen Teile zerlegt werden. Man teilt die zusammengestellten Möbel ab, und alles ist wieder vorbei.
    So ist in der neuen Gesellschaft auch hier alles auf das folgerichtigste und scharfsinnigste geordnet worden. Wie beschämend sind doch diese Einrichtungen, welche jede persönliche Freiheit für Mann und Weib garantieren, wiederum für diejenigen, die stets behauptet haben, dass die Sozialdemokratie eine Knechtschaft des Einzelwillens bedeute.
    Für meine Alte und mich sind dies natürlich kein praktischen Fragen. Wir halten wie bisher in Freud und Leid bis zu unserm Lebensende treu zusammen. Das sind nur schwache Naturen, bei welchen der innere Herzensbund auch noch der äußeren Klammern, wie in der alten Gesellschaft bedarf, um nicht auseinander zu fallen.
    Leider haben wir beim Umzug wieder einen weiteren Teil unseres Hausrats im Stich lassen müssen. Die neue Wohnung war zu klein, um auch nur den Rest unseres Mobiliars, der uns nach dem Umzugstage unserer Lieben geblieben vollständig aufnehmen zu können. Wir haben natürlich in die beiden Gelasse hineingesteckt, was von unsern Sachen hineinging, sodass wir in der Bewegung etwas beengt sind. Aber das ehemalige Mädchengelass ist doch gar zu klein und hat auch zu wenig Wandfläche. Sehr vielen anderen ist es auch nicht besser ergangen. Beim Wohnungswechsel blieben daher sehr viele Sachen auf der Straße stehen, welche in den neuen Räumen von ihren bisherigen Besitzern nicht untergebracht werden konnten. Diese Sachen sind sämtlich ausgeladen worden, um die noch sehr mangelhafte Einrichtung in unseren großen öffentlichen Anstalten nach Möglichkeit zu vervollständigen.
    Darüber wollen wir uns aber nicht betrüben. Es gilt, in der neuen Gesellschaft an Stelle einer beschränkten kümmerlichen Privatexistenz ein großartiges öffentliches Leben zu organisieren, das mit seinen auf das vollkommenste eingerichteten Anstalten für leibliche und geistige Nahrung jeder Art, für Erholung und Geselligkeit allen Menschen ohne Unterschied dasjenige zu Teil werden lässt, was bis dahin nur eine bevorzugte Klasse genießen konnte. Der morgigen Eröffnung der Staatsküchen soll demnächst auch die Eröffnung der neuen Volkstheater folgen.

12. Die neuen Staatsküchen
    Es ist doch eine wahrhaft bewundernswerte Leistung, dass heute in ganz Berlin mit einem Schlage 1. 000 Staatsküchen, jede zur Speisung von je 1. 000 Personen, eröffnet werden konnten. Zwar, wer sich eingebildet hat, dass es in diesen Staatsküchen hergehen werde, wie an der Table d'hôte der großen Hotels zur Zeit, als dort noch eine üppige Bourgeoisie in raffinierter Feinschmeckern schwelgte, muss sich enttäuscht finden. Natürlich gibt es in den Staatsküchen der sozialisierten Gesellschaft auch keine schwarz befrackten und geschniegelten Kellner, auch keine ellenlangen Speisekarten und dergleichen.
    Alles ist für die neuen Staatsküchen bis in die kleinsten Einzelheiten hinein genau vorgeschrieben. Niemand wird vor dem andern auch nur im Geringsten bevorzugt. Eine Wahl unter den verschiedenen Küchen ist natürlich nicht gestattet. Jeder hat das Recht in der Küche seines Bezirks zu speisen, innerhalb dessen die neue Wohnung gelegen ist. Die Hauptmahlzeit wird verabreicht zwischen 12 Uhr mittags und 6 Uhr abends. Jeder meldet sich bei derjenigen Küche, welcher er zugewiesen ist, entweder in der Mittagspause seiner Arbeitszeit ober nach Beendigung der Arbeit.
    Leider kann ich mit meiner Frau, wie ich dies seit 25 Jahren gewohnt war, außer sonntags nicht mehr zusammen essen, da unsere Arbeitszeiten ganz verschieden
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