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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Autoren: Keith Donohue
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werden schlafen, und du musst aufhören, immer an demselben Knochen herumzunagen. Es ist die natürlichste Sache …«
    »Für dich. Aber ich bin eine Tlingit und kein Bär.«
    »Ich hätte es wissen müssen, als du mich für deinen eigenen Fehler verfluchtest …«
    »Und ich hätte auf meine Schwester hören und nicht mit dir gehen sollen.«
    Das Bild ihrer Schwester blieb ihr den Rest des Tages im Kopf, ebenso der Geist ihrer anderen Schwestern, ihrer Mutter, ihres ganzen Stammes. Heimweh erfasste ihr Herz wie ein Fieber, und ein Delirium voller Erinnerungen dröhnte die ganze Nacht wie eine Trommel. Sie konnte ihre Babys nicht im Arm halten, ohne an die anderen Kinder im Dorf zu denken, die, wie sie früher, halb nackt auf dem schlammigen Platz umherrannten, einen dreibeinigen Hund jagten, gegen eine alte Robbenblase traten und sich gegenseitig mit Fichtenzweigen marterten. Als sie einen Eintopf aus Elchfleisch und Wurzeln über dem offenen Feuer kochte, erschien ihr im Dampf ein Traumbild von Nebel, der über das Meer heranrollte, die Häuser im Dorf einhüllte, und von Menschen, die durch eine Wolke gingen, nach ihren unsichtbaren Cousins riefen und den freudigen Klang ihrer Antworten hörten. Als X’oots sich für seinen Nachtschlaf schwerfällig in eine Ecke begab, ließ er sie mit ihrem Kummer allein, und als alle schliefen, weinte sie zum ersten Mal, seit sie unter den Bären lebte. Groll nistete sich in ihrem Herzen ein und trieb seine Ranken rasch durch ihre Adern. Das Schnarchen ihres Mannes widerte sie an, und er roch nach nassem Fell und Magengasen. Sie begann, ihre Flucht zu planen.
    Als die ersten Schneefälle drohten, entschied X’oots, sie bräuchten ein geräumigeres Zuhause, denn die beiden Kinder überwinterten nun mit ihnen. Drei Tage lang suchte er die Berge nach einem passenden Ort ab, und bei seiner Rückkehr wies er sie an, sie müssten sofort packen. Immer höher wanderte die Familie durch das mühselige Land, und als sie die halb gegrabene Höhle erreichten, forderte er S’ee auf, Fichtenzweige für den Boden zu sammeln, während er fertiggraben wolle. Statt abgefallene Zweige aufzuklauben, kletterte sie auf einen nahe stehenden Baum und brach die obersten Äste ab, genug für drei Schlafstellen. Als X’oots sah, was sie getan hatte, stellte er sie zur Rede.
    »Törichte Frau, warum tust du nicht das, was ich dir sage? Jeder Jäger erkennt nun an den Baumwipfeln, dass ganz in der Nähe eine Höhle ist. Ich habe dich gebeten, nur die Zweige zu sammeln, die auf der Erde liegen.«
    Sie zuckte mit den Schultern und legte ihre Tochter an die Brust. Grummelnd bei jedem Schritt, führte er sie noch höher den Berg hinauf und grub so wütend, dass sie dachte, der ganze Abhang würde einstürzen. Nach ihrer ersten Nacht in der neuen Höhle schlich sie sich früh am Morgen hinaus, um ihren Duft an die Bäume zu reiben, und während die anderen noch schliefen, knetete sie einen Klumpen aus Lehm, Moos und Spucke, den sie über ihre ganze Haut rieb und dann bis zum Fuß des Berges hinunterrollen ließ; denn sie wusste, sollte man nach ihr suchen, würden die Hunde ihren Duft zwischen den Kieselsteinen wittern und die Männer verstehen, was sie getan hatte.
    Es traf sich, dass die Männer des Dorfes, wie sie es mussten, schon drei Jahre lang nach ihr suchten. In jedem Frühjahr rüsteten sich die Söhne und Neffen ihrer Mutter, ihre Spur zu verfolgen. Im ersten Jahr kamen die Brüder nur bis zu der Stelle, wo der Bär und S’ee in ihrer ersten Nacht kampiert hatten; da sie aber den Zauber der Kräuter und Blätter nicht richtig eingeschätzt hatten, mussten sie umkehren. Im zweiten Jahr kamen die Brüder bis zu dem Ort, wo alle Bären am Fluss geschlafen hatten; da sie aber zu schwache Medizin zubereitet hatten, verließ sie der Geist erneut. Doch als der April des dritten Jahres gekommen war, wussten die jungen Männer, wie sie acht Tage ohne Wasser auskommen konnten, wie sie mit den Kräutern umzugehen hatten, ohne davon verrückt zu werden, und wie sie die Hunde führen mussten, damit sie nicht allein nach Braunbären suchten, sondern auch nach ihrer Schwester. Einen Monat lang hatten sie dem Hund namens Chewing Ribs erlaubt, in S’ees altem Bett zwischen ihren Kleidern und Schätzen zu schlafen, sodass er ihren Duft in der Nase hatte, gleichgültig, wie lange ihre Suche dauern würde.
    Die Schneefälle wandelten sich zu Frühjahrsregen, und der Bär und seine Familie sahen aus der trockenen
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