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Sommerkind

Sommerkind

Titel: Sommerkind
Autoren: Diane Chamberlain
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vorstellen, in einem Jahr Sex zu haben. Wieder blickte sie zum Haus gegenüber und dachte an Rory. Er war der einzige Junge, den zu küssen sie in Erwägung ziehen würde, doch selbst mit Rory konnte sie sich nicht mehr ausmalen. Und überhaupt – sie wusste gar nicht genau, wie man es machte.
    “Ich weiß, wer es war!”, sagte Ellen aufgeregt. “Ich wette, es war diese Linda.” Die zwei prusteten los, und Daria stimmte in ihr Gelächter ein, als hätte sie den Witz verstanden.
    Plötzlich kamen zwei Polizisten aus der Haustür des Poll-Rory, Rory dicht auf ihren Fersen. Er schrie sie an. Die drei Mädchen beugten sich weit zum Fliegengitter hinüber, um besser verstehen zu können.
    “… sie nur durcheinandergebracht!”, schrie Rory. “Und warum?”
    Die Polizisten gingen unbeirrt weiter.
    “Lassen Sie sich hier bloß nicht wieder blicken!”, rief Rory ihnen in bedrohlichem Ton nach. Sein blondes Haar glänzte in der Sonne, und seine Haut war nach nur einer verregneten Woche am Strand bereits gebräunt. Seine Stimme war tiefer als im Jahr zuvor. Wie er die Polizisten so anschrie, wirkte Rory plötzlich überhaupt sehr männlich und gar nicht mehr wie ein Junge. Bei der Vorstellung, dass er diesen Sommer vielleicht immer noch seine Zeit mit ihr verbringen wollte, war Daria ganz aufgeregt. Doch zugleich schämte sie sich auch für den Gedanken, denn sie wusste, wie lächerlich diese Hoffnung war.
    “Rory.” Mrs. Taylor öffnete die Fliegengittertür ihres Hauses.
    Rory drehte sich nicht um. Er blickte den Polizisten auf ihrem Weg die Straße hinunter nach, und Daria meinte, sogar von der Veranda aus die Dolche in seinen Augen erkennen zu können.
    Mrs. Taylor ging zu ihrem Sohn hinüber, legte ihm den Arm um die Schultern und sprach ruhig auf ihn ein. Schließlich gingen sie gemeinsam ins Haus zurück.
    “Rory sieht diesen Sommer ziemlich heiß aus”, sagte Ellen und fächelte sich mit der Hand Luft zu.
    “Er ist erst vierzehn”, frotzelte Chloe. “Obwohl, ich glaube, er wäre genau der Richtige für dich.”
    Darias Mutter kam auf die Terrasse. Sie trug ein für Kill Devil Hills ungewöhnliches Kleid. “Wir wollen heute Abend Pizza essen gehen”, verkündete sie, während sie Daria übers Haar strich. Die Berührung fühlte sich beinahe fremd an. Seit einer ganzen Weile war ihre Mutter nicht mehr so zärtlich gewesen. “Zu deinem Geburtstag, Daria”, fügte sie hinzu. “Und danach zum Minigolfplatz. Hast du Lust?”
    “Au ja!”, sagte Daria. Sie freute sich, dass ihre Mutter den Geburtstag doch nicht vergessen hatte. Chloe und Ellen sahen Sue Cato an, als wäre sie über Nacht zwei Köpfe gewachsen.
    “Und jetzt …”, Darias Mutter strich sich das Kleid glatt, “… fahre ich nach Elizabeth City ins Krankenhaus, um das Baby zu besuchen.”
    “Warum?”, fragte Chloe. “Es ist doch nicht deins.”
    “Das stimmt, aber sie hat doch niemanden”, antwortete Sue. “Niemanden, der sie im Arm hält. Und genau das werde ich jetzt machen.”
    “Kann ich mitkommen, Mom?” Daria stand auf. Die Libelle war vergessen. “Ich habe sie schließlich gefunden.”
    Ihre Mutter neigte den Kopf zur Seite, als wäge sie ab. “Natürlich”, sagte sie dann. “Ich finde, du musst sogar mitkommen.”
    Die Krankenschwester wies sie an, sich die Hände mit einer desinfizierenden Seife zu waschen und blaue Kittel anzuziehen. Erst dann durften sie die Säuglingsstation betreten, wo das kleine Mädchen in einem Brutkasten lag. Da sie sie nicht auf den Arm nehmen durften, sahen sie die Kleine einfach nur an. Daria erkannte sie kaum wieder. War sie wirklich so winzig gewesen, als sie sie am Strand gefunden hatte? Ihre Haut war sehr blass, fast durchsichtig, und ihr Haar war nicht mehr als ein feiner blonder Flaum. Mit langen Drähten, die auf ihrer Brust klebten, war sie an mehrere Monitore angeschlossen.
    Überrascht bemerkte Daria, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Dieses Mädchen lebte ihretwegen. Sie bewegte sich und atmete ihretwegen. Es war schier unglaublich.
    Sue Cato nahm die Hand ihrer Tochter und drückte sie – etwas, was sie seit vielen Monaten nicht getan hatte. Daria blickte zu ihrer Mutter auf, die leise Tränen weinte, und in dem Moment begriff sie, dass dieses Baby für sie beide mehr war als ein neuer kleiner Erdenbürger. Dieses Baby war bereits dabei, ihr beider Leben zu verändern.
    “Wir werden bei St. Esther's vorbeifahren”, sagte ihre Mutter, als sie wieder im Wagen saßen
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