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Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Solom: Der Wanderprediger (German Edition)

Titel: Solom: Der Wanderprediger (German Edition)
Autoren: Scott Nicholson
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Regalen, die nun mit Schokoriegeln gefüllt wurden. Früher lag ein Versandhandelskatalog neben der Kasse, der es den Familien aus den Bergen ermöglichte, praktisch alles zu bestellen, was man auch im mondänen New York kaufen konnte, doch in der Clinton-Ära war der Katalog verschwunden und durch einen Computer ersetzt worden. Sarah traute dem Ding nicht. Sie nannte ihn »Schleimiger Willi« und hegte sogar den Verdacht, dass er ab und an einen Dollar verschlang. Und so blieb der Bildschirm schwarz, außer wenn Gretta Dienst hatte, die Studentin mit den dicken Knöcheln, die manchmal im Laden aushalf.
    Der Computer war eines der wenigen Dinge, die etwas Modernität in den Laden brachten. Außer vielleicht noch die Unmengen an billigen Kunstgewerbsartikeln aus Fernost, die original und authentisch aussehen sollten. An der Wand hingen rostige Werbeschilder, Werkzeuge, die man auf dem Bauernhof brauchte, und Regale voller geriffelter Glasflaschen. All diese Dinge verstärkten den Eindruck, dass der Laden aus einer längst vergangenen Zeit stammte, als das Leben noch in Ordnung war. Sarah glaubte zwar selbst nicht an diese Illusion, aber sie verkaufte sie. Es war einfacher, sein Geld mit Sachen zu verdienen, für die die Leute gern etwas ausgaben, als immer wieder seinen paar Kröten hinterherzurennen.
    Sarah war in dem Laden groß geworden. Sie hatte Staub gewischt auf den Regalen und in ihrem einfachen Baumwollkleidchen eingelegte Eier abgezählt. Sie erinnerte sich noch daran, wie das erste WC im Haus eingebaut wurde, so dass man nicht mehr aufs Klohäuschen rennen musste, um seine Notdurft zu verrichten. Damals war sie gerade mal vier, und sie hatte eine Höllenangst vor dem Rauschen der Wasserspülung gehabt. Aber noch fürchterlicher fand sie es, ihren nackten Hintern über das stinkende Plumpsklo im Aborthäuschen zu hängen. Schon damals war sie immer mit dem Besen unterwegs gewesen und hatte sich gewundert, was das für kleine schwarze Krümel waren, die zwischen den herumflirrenden Haaren und Zuckerkristallen, den Grashalmen und dem ganzen Dreck lagen.
    »Mäusedrecker«, hatte Laurel Lee dann immer gesagt. »Für eine Maus ist ein Laden wie unserer das reinste Himmelreich.«
    Sarah hatte sich die Mäuse immer als glückselige Wesen vorgestellt, die unter den Dielen herumhuschten und deren einzige Sorge es war, wie sie es schaffen sollten, sich durch all die Säcke mit Saatgut zu knabbern und die Ecken der Cornflakespackungen aufzubeißen. Doch nachdem sie nun seit fast siebzig Jahren ihren verdammten Dreck wegkehren musste, war sie kurz davor, sie alle zum Teufel zu wünschen.
    Wenigstens hatte sie jemanden, den sie für die komischen Geräusche in den Gängen verantwortlich machen konnte. Sie war nicht gern allein im Laden, aber das Geld reichte schon so kaum für die zwei Aushilfen. Und so hatte sie sich in den vergangenen Jahrzehnten die Zeit mit dem Besen vertrieben und die Beweise ignoriert, die ihre Ohren lieferten. Sie dachte einfach nicht an die Vogelscheuche.
    Über der Fliegengittertür läutete die Klingel. Es war zehn nach sieben, der Laden hatte zu, aber sie hatte die Tür nicht abgeschlossen. Vom Vordach fiel ein gelber Lichtstrahl auf den Eingangsbereich. Im Gegenlicht sah Sarah einen gewaltigen Schatten.
    »Tag«, sagte sie. Die Urlaubersaison in den Bergen war noch nicht zu Ende. Allerdings versteckten sich die Gäste aus New York und Florida um diese Zeit meist schon in ihren Hotelzimmern in Titusville, damit die Mücken sie nicht zerstachen, oder sie hatten es sich in gemieteten Blockhütten gemütlich gemacht, die 150 Dollar die Nacht kosteten. Sue Norwood betrieb einen Laden für Kajak- und Raftingausrüstung, der ganz gut lief. Davon profitierte auch Sarahs Tante-Emma-Laden, so dass sie sich über Wasser halten konnte. Fast schien es, als ob sich jedes Mal, wenn der kleine Laden kurz vorm Absaufen war, wieder irgendeine Gelegenheit auftat, mit der man etwas Geld verdienen und zumindest kurz nach Luft schnappen konnte.
    Der Schatten stand in der Tür, die Hände in den Taschen. Das Gesicht war nicht zu erkennen, denn auf dem Kopf saß ein altmodischer Hut mit breiter Krempe. Aber Sarah wollte sowieso nur ein bisschen von seinem Geld haben und ihn dann wieder wegschicken, damit sie es noch rechtzeitig zur letzten Wiederholung von »Seinfeld« schaffte.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie, ganz froh, den Mäusedreck für ein Weilchen vergessen zu können. Über die Jahre hatte sie
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