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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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Kessel- und Maschinenhaus, das den Gebäudekomplex mit Strom und Licht versorgte. Hinter dem Hauptgebäude gab es einen Obst- und Gemüsegarten, der von den Insassen gepflegt wurde. Sogar an den Bau einer Anstaltskapelle im obersten Stock des Hauptgebäudes hatten die Herren Architekten gedacht.
    Karlheinz Krotzmann schnaubte. Er hätte wetten können, dass so gut wie niemand je einen Fuß in das Herrgottshaus setzte.
    Das Gefühl des Unwohlseins wuchs mit jedem Schritt, den er durch die desolate Anlage machte. Obwohl das Gebäude kaum älter als zwanzig Jahre war, mutete alles abgenutzt und verkommen an. Das Pflaster des Weges, der auf das Haupthaus zuführte, war löchrig und uneben, nirgendwo gab es eine Mauer, die nicht fleckig war oder einen moosigen Belag aufwies, die Fenster waren stumpf, die Gitter verrostet …
    Diese Menschen waren wie Tiere! Sie demolierten alles ohne Rücksicht auf Verluste, dachte Karlheinz Krotzmann und war froh, dass sein Unterrichtsbeginn nicht mit dem Freigang der Insassen zusammenfiel. Der Gedanke, dieselbe Luft zu atmen wie Mörderinnen und Diebinnen, beunruhigte ihn.
    Er hatte den Haupttrakt fast erreicht, als er den Hausmeister mit einem Leiterwagen, auf den Werkzeuge aller Art getürmt waren, um die Ecke kommen sah. Er wohnte in einer kleinen Wohnung auf dem Gelände und war von früh bis spät mit Reparaturen beschäftigt. Was für ein Leben!, dachte Krotzmann schaudernd und nickte dem Hausmeister mitleidig zu. Nach einer kurzen Begrüßung sagte der Mann: »Ich brauche eine neue Gehilfin. Möchte zur Abwechslung eine von den Jungen nehmen, die sind vielleicht noch nicht gar so verkommen wie die Erwachsenen. Können Sie mir am Ende Ihres Unterrichts jemanden schicken?«
    Krotzmann, der dafür zuständig war, die jugendlichen Strafgefangenen der Wäscherei, den Putzkolonnen oder der Küche zuzuteilen, nickte.
    »Hatten Sie nicht in der vorigen Woche ein älteres, hageres Weib an Ihrer Seite, das Ihnen half, den Zaun vom Hühnerstall zu flicken? Was ist mit der Frau geschehen?«
    Der Hausmeister schnaubte. »Wollte mir den Fäustel über die Rübe schlagen, hab’s im letzten Moment gemerkt und konnte gerade noch ausweichen. Jetzt haben sie die Alte in eine Einzelzelle gesteckt. Schade, ich hätte gedacht, dass was Besseres in ihr steckt.«
    Etwas Besseres in ihr steckt! Der Mann war wirklich ein Trottel, wenn er an so etwas glaubte. Krotzmanns Magengrimmen wurde heftiger. »Ich schaue, was ich machen kann«, sagte er, dann drückte er das schwere Eisentor des Haupttraktes auf. Dessen unangenehmes Quietschen war das tägliche Startsignal für die dreistündige Qual, die er in der neu geschaffenen Jugendabteilung durchleben musste.
    Eine Jugendabteilung – Geldverschwendung wie die Gefängniskapelle! Seiner Ansicht nach machte es keinen Unterschied, ob man die Huren und Diebinnen erst ein paar Jahre gesondert einsperrte oder ob man sie gleich mit den erwachsenen Straftätern wegsteckte. Von wegen: »Sind vielleicht noch nicht ganz so verkommen!« Wenn er nur an diese Adele mit den eiskalten Augen dachte, wurde ihm ganz anders. Hinterrücks den eigenen – trunkenen – Vater zu erschlagen, das musste man sich mal vorstellen!
    Was für eine Schande, dachte Krotzmann nicht zum ersten Mal und spürte, wie ihm bei diesem Gedanken die Galle hochkam. Eine abgrundtiefe Schande, dass ausgerechnet er vom Schulamt dazu verdammt worden war, hinter den Gittern des Frauengefängnisses Barnimstraße »Unterricht« abzuhalten. Natürlich hatte der Herr der Oberschuldirektion es anders genannt: »Ein Versuch, auf Abwege geratene junge Mitglieder der Gesellschaft wieder auf den rechten Weg zu führen. Eine erzieherische Herausforderung, die Strenge und Güte zugleich erfordert.« Es hatte geheißen, dass man ihm, Karlheinz Krotzmann, diese Tätigkeit zutraute. Ihm war nichts anderes übriggeblieben, als sich zu fügen, in der Hoffnung, dass ein, zwei Jahre im Weibergefängnis seinem Streben nach höheren Ämtern hilfreich sein würden. So fuhr er nun seit gut einem Jahr mit der Straßenbahn durch die halbe Stadt, Tag für Tag, in diesen Höllenpfuhl. Und von Tag zu Tag wuchsen seine Abscheu und sein Hass auf seine Schülerinnen. Wie es ihn allein anwiderte, sie so zu nennen …
    Nicht, dass er anfänglich nicht die besten Absichten gehabt hätte! Da es keine Unterrichtspläne für diese Art von »Schule« gab, hatte er eigene entwickelt. Lektionen, die vor allem die Disziplin und Ausdauer
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