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Sohn der Unendlichkeit

Sohn der Unendlichkeit

Titel: Sohn der Unendlichkeit
Autoren: Hans Kneifel
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verloren waren. Und weil sich die Hoffnung der Erde auf Dorian konzentrierte, konzentrierte sie sich auch auf die Frauen und Männer, die ihn seit mehr als drei Jahrzehnten betreuten, ausbildeten, führten und schulten. Diomed war unter diesen Helfern die Zentralfigur, und meistens fühlte er ein Gebirge an Unsicherheit und Verantwortung im Nacken.
    Er atmete ein. Seine Fäuste öffneten sich, und er wischte die feuchten Handflächen an der Hose ab. Dann richtete er sich gerade auf, blickte zur Tür und sagte entschlossen:
    »Wir wagen es!«
    Dann ging er hinunter zu Biona 1.
     
    *
     
    Der kleine stille Raum lag in einem Haus am Rand des Raumfeldes, weitab vom Lärm der Werft und inmitten eines idyllischen Parks. Dorian Variatio lag entspannt in einem weichen Sessel und blickte auf einen Lumineszenzschirm. Dort zeichnete ein starker Oszillograph die Hirnströme auf, hauptsächlich Alpha-Rhythmen. Die zuckenden Lichtspuren in drei Farben beeinflußten die Augen, starke Lautsprecher machten sie akustisch wahrnehmbar. Und zwar wanderten die Töne über die gesamte Skala, von ein Hertz bis hinauf in reinen Ultraschall. Dorian hörte in jedem Bereich gleich gut; er hatte in diesem seinem Wahrnehmungsbereich die Selektion ausgeschaltet. Die sichtbar und hörbar gemachten Hirnströme, der Hirnströme Dorians, die über Elektroden abgenommen wurden, erzeugten einen Resonanzeffekt, einen elektronischen Rausch.
    Nicht bei mir! dachte er und schloß sekundenlang die Augen.
    Er war allein mit sich selbst. Eingeschlossen in einem Universum aus Dunkelheit, zitternden Farblinien und rhythmischen Tönen. Jeder normale Mensch – selbst Diomed oder Amaouri – würde jetzt diesem Rausch erliegen und sich verzückt den fremden Bildern und Eindrücken hingeben. Dorian analysierte die Impulse als das, was sie eigentlich waren und blieb von ihrer hypnotisierenden Wirkung verschont.
    Er hob die Hand und blickte auf die Ziffern der Ringuhr.
    »Noch neun Minuten.«
    Wieder konzentrierte er sich auf den Bildschirm. Er wußte, wie weit er sich selbst vertrauen konnte. Aber alle diese Prüfungen, die sich mit seinen erweiterten Möglichkeiten beschäftigten, waren nur Theorie. Dachte er an die bevorstehende Praxis, dann wuchs seine Unsicherheit.
    Man hatte ihn in die Tiefsee tauchen lassen.
    Dort hatte er tagelang gelebt wie ein merkwürdiger Fisch und hatte sich mit einem System von Schwingungen, Echos und Lautäußerungen mit Robotern unterhalten müssen.
    Tagelang war er in die Glutkammern eingesperrt gewesen. Dort mußte er inmitten einer Atmosphäre tödlicher Gase am Leben bleiben und außerordentlich komplizierte Aufgaben lösen.
    Tausende von Materialien waren ihm vorgelegt worden. Er strich mit den Fingern darüber und versuchte mit Hilfe seiner weitaus empfindlicheren Tastnerven die Strukturen des Materials festzustellen. Er blickte Maserungen, Körnung oder Schichtungen an und konnte polierten Schiefer ebenso gut identifizieren wie zwei Jahrmillionen alten Gneis.
    Er nahm sogar die atomaren Emissionen wahr, konnte dank eines zwanzigjährigen Lernprozesses die Halbwertszeiten bestimmen und somit das Alter eines Planeten oder einzelner Gebiete einer fremden Welt.
    Wenn er alle seine Kanäle gleichzeitig öffnete, starb er an einem Anfall von Informationsübersättigung.
    Bisher hatte er es fertiggebracht, bemerkenswert normal zu bleiben. Kaum einen Test gab es, den er nicht mit Bravour bestanden und durchgestanden hätte. Aber das alles war und blieb Theorie.
    Irgendwann würde er sich den Barrieren der Praxis gegenübersehen.
    Dann gab er. Jetzt noch mußte er nehmen und einstecken. Er konnte neunmal sechzig Sekunden mühelos mit einer Fehlermarge von plus/minus zwei Sekunden schätzen. Er schaltete die Anlage aus und blickte den verschwimmenden Lichtzeichen nach. Dann nahm er die Anschlüsse von seinem Kopf und öffnete die Tür.
    »Fertig für heute!« sagte er leise.
    Er wunderte sich noch immer, warum er eigentlich noch auf der Erde war und nicht schon längst im All. Er durchquerte das Laborgelände, betrat einen überdachten Verbindungsgang und erreichte das riesige Wohnzimmer. Zuerst sah er nur die weißen Stiefel, darüber die Knie Amaouris.
    Der Raum wurde von Klängen gebadet. Die Ode an den brennenden Maschinisten war zu hören, nach einem Text von Sonar Quaiser, komponiert von Hypho Sur, der einer von ihnen gewesen war. Dorian holte sich eine Tasse Kaffee und setzte sich neben Amaouri.
    Sie warf ihm einen langen,
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