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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern
Autoren: Kate Allatt
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wie um mich herum das Leben weiterging, ohne dass ich eine Chance hatte, daran teilzunehmen. Ärzte und Krankenschwestern drängten sich am Fußende meines Bettes; sie unterhielten sich leise über mich.
    »Hallo, wissen Sie denn nicht, dass es ungehörig ist, über Leute zu reden, die sich im selben Raum befinden?«, sagte ich. Doch natürlich blieben meine Gedanken ungehört. Ich konnte nicht sprechen, und ich konnte auch nicht genau verstehen, was sie über mich sagten, was mich fürchterlich ärgerte, aber ihr Gesichtsausdruck verriet, dass ich jemand war, den man bemitleiden musste. Nachdem sie gegangen waren, hörte ich Gelächter aus dem Schwesternzimmer. Die Medikamente mussten mich paranoid gemacht haben, denn ich dachte, die Schwestern würden über mich lachen.
    »Kommt, Leute, lasst mich an eurem Spaß teilhaben. Ich habe genügend Sinn für Humor. Und genau jetzt könnte ich wahrlich etwas brauchen, das mich aufmuntert.« Ich wollte sie unbedingt wissen lassen, dass ich die lebenslustige Kate war. Ich wollte ihnen zeigen, dass sich unter all diesen Schläuchen eine nette, normale Mutter befand, ganz wie sie, und nicht der medizinische Notfall, der dem Tode nahe war. Eine Schwester erschien mit einem Klemmbrett und beschäftigte sich mit einem der Geräte. Sie bemerkte nicht einmal die vor lauter Frustration vergossenen Tränen, die mir über die Wange liefen. »Bitte, kommen Sie und reden Sie mit mir. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich scheiße aussehe, aber ich beiße nicht.«
    Wenigstens hatten jetzt endlich die Kopfschmerzen aufgehört. Das Hämmern im Hinterkopf war der Grund, weshalb ich hier so nahe dem Tode lag. Später erfuhr ich, dass es in der Tat keine Migräne gewesen war, sondern ein Blutgerinnsel im Stammhirn, oder, um es weniger verbrämt zu sagen, ein gewaltiger Schlaganfall. Man hatte mir eine Fifty-fifty-Überlebenschance gegeben, und drei Tage lang hatten die Ärzte mich im künstlichen Koma gehalten, um meinem Gehirn Ruhe und die Möglichkeit zur Erholung zu verschaffen. Als ich mein Bewusstsein wiedererlangte, war ich in meinem Körper eingeschlossen, gefangen – »locked in«, wie es im Englischen heißt. Die gesamte Muskulatur – mit der ich normalerweise jede Bewegung in meinem Körper kontrollierte – war gelähmt. Ich war nicht nur unfähig, mich zu setzen oder einen Finger zu rühren, ich konnte aus eigenem Antrieb nicht einmal atmen oder schlucken. Ich war vollkommen hilflos. Doch ich konnte meine Augenlider bewegen – daher war ich in der Lage, die Augen zu öffnen und alles in meinem unmittelbaren Blickfeld zu beobachten. Ich konnte selbstständig denken und verstand alles, was um mich herum geschah. Aber wusste jemand, dass ich innerhalb meines erstarrten Körpers noch am Leben war?
    Da bemerkte ich, dass ich auch Schmerz empfinden konnte. Nachdem ich drei Tage lang in unveränderter Position verbracht hatte, tat die Schulter verteufelt weh. Ich hätte alles dafür gegeben, mich auf die Seite rollen zu können, um sie zu entlasten, doch ich war nicht imstande dazu.
    Die Uhr gegenüber meinem Bett zeigte 14.50 Uhr. Bald würden die Kinder aus der Schule kommen. Ich spürte Panik. Wo war Mark? Wartete er vor der Schule auf sie?
    Die Zeit vergeht grausam langsam, wenn man keine Kontrolle über seinen Körper besitzt. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Minutenzeiger der Uhr zu beobachten, wie er Stück für Stück vorwärtstickte, und zu hoffen, dass jemand käme, um ein paar schöne Minuten mit mir zu verbringen und mir zu erzählen, was gerade vor sich ging. Ich bin nie ein Minutenzähler gewesen. Mein Leben war zu hektisch mit drei Kindern, dem Betreiben der eigenen Firma, einem großen Freundeskreis und meinem Hobby, dem Berglaufen, gewöhnlich hatte der Tag viel zu wenig Stunden. Doch jetzt konnte ich nichts anderes tun, als auf die Uhr zu starren und auf jemanden zu warten, irgendjemanden, der Notiz von mir nahm. Erst nach ein oder zwei Tagen fiel mir auf, dass ich mich nicht einmal auf Mahlzeiten freuen konnte. Selbst das war mir genommen worden, denn ich wurde durch den Schlauch in meiner Nase ernährt. Ohne es zu spüren, ging ich davon aus, dass man einen Katheter gelegt hatte, um meinen Urin abfließen zu lassen.
    Plötzlich hatte ich das furchtbare Gefühl, auf Toilette zu müssen. Mist! Mir wurde klar, dass ich auch keine Gewalt über meine Gedärme besaß und eine Windel trug. Ich spürte, wie da unten irgendetwas vor sich ging, als hätte mir jemand
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