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So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren

So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren

Titel: So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
Autoren: Juliette Gréco
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reich, scheint aber kultiviert zu sein, was sie überzeugt. Eine Sache jedoch stört sie. »Wie kann man nur einen Mann mit so großen Füßen heiraten?«, brummelt sie. Aber schließlich wird sie ihn und seine großen Füße akzeptieren.
    Auch Charlotte hat einen unabhängigen Charakter, aber weder besitzt sie Maria Luisas Eigensinn noch ihr Ungestüm. Niemals würde sie es wagen, sich ins Gras zu setzen und vor ihrem Diener die Strümpfe herunterzupellen, während der in Verehrung für seine Herrin darauf wartet, ihr die Füße massieren zu dürfen. Nie würde Charlotte sich die Freiheiten ihrer Mutter herausnehmen. Sie ist sich ihres gesellschaftlichen Rangs bewusst.
    Ihren Besitz führt sie wie ein Wirtschaftsunternehmen, mit den Hausangestellten pflegt sie keine persönlichen Beziehungen. Sie straft sie mit Missachtung, ganz einfach. In ihren Augen gehören sie einer niederen Rasse an, sie interessiert sich nur für Menschen ihres Schlages, aus ihrer Kaste.
    Als elegante Frau von Welt trägt Charlotte winters wie sommers einen Hut; sie hat ihre Hunde gern, vier Pekinesen und einen grauen russischen Windhund. Sie mag Diners und Abendgesellschaften, zu denen sie wichtige Freunde aus der Region einlädt wie ihren Nachbarn François Mauriac. Der zukünftige Literaturnobelpreisträger unterhält sich mit ihrem Mann gern über Architektur und Literatur.
    Charlotte wird mit ihrem zweiten Mann nur ein Kind haben: meine Mutter Juliette.
    Auf dem Familiensitz, umgeben von Weinbergen, wächst das Einzelkind auf. Juliette begeistert sich für Pferde und wird eine gute Reiterin. Sie erhält eine einfache und liebevolle Erziehung, mit all den Abstrichen, die man bei dem strengen katholischen Bürgertum von Bordeaux in jenen Tagen vornehmen muss.
    Sehr bald beginnt der Teenager davon zu träumen, die enge Familienwelt zu verlassen und Kurse an der Akademie der Schönen Künste in Paris zu belegen. Aber in der bürgerlichen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts schickt es sich für eine junge Frau nicht, allein in Paris zu leben.
    Doch Juliette zieht es mit aller Macht nach Paris, die Eltern geben schließlich stillschweigend ihr Einverständnis. Allerdings gibt ihr weiteres Schicksal den Vorurteilen recht.
    Einige Monate später lernt sie in Paris Gérald Gréco kennen, einen Polizisten aus Korsika, der dreißig Jahre älter ist als sie. Der kleine, aber gut aussehende und äußerst elegante Mann verführt sie mit seinen goldbraunen Augen; er will sie heiraten.
    Die beiden ziehen zusammen, Juliette studiert weiter an der Kunstschule, doch die Ernüchterung folgt auf dem Fuß. Der Polizist Gréco wird nach Ferney-Voltaire versetzt, einen kleinen Ort nicht weit vom Genfer See. Das Paar muss Paris verlassen.
    Ein paar Monate nach ihrem Umzug kommt ein Mädchen zur Welt: Charlotte, meine ältere Schwester. Zwei Jahre später wird Kommissar Gréco nach Montpellier versetzt. Dort kommt am 7. Februar 1927 eine zweite Tochter zur Welt. Das ist eine zu viel.
    Ich bin also die nicht erwünschte kleine Schwester, das überflüssige zweite Mädchen, die Nachkommin, die es nicht gebraucht hätte. Mein Vater hatte auf einen Jungen gehofft.
    Drei Jahre voller Gewalt und der Entfremdung folgen, bis meine Mutter ihren Mann verlässt; mit einem Kind unter jedem Arm und einem großen Koffer, der die wichtigste Habe enthält, flieht sie in die Unabhängigkeit.
    Sie kehrt zu ihren Eltern zurück, bleibt einige Zeit auf dem Familiensitz, sammelt neue Kräfte und beschließt, nach Paris zurückzukehren.
    Sie geht alleine weg, ohne ihre Töchter.
    An einem Frühjahrsmorgen herrscht im Haus meiner Großeltern große Aufregung. Die Hausangestellten müssen alle Türen und Fensterläden im Erdgeschoss verschließen. Wir Kinder dürfen das Haus nicht verlassen. »Ihr geht heute nicht in die Schule. Euer Vater will euch mitnehmen!«, sagt die Großmutter.
    Voller Spannung wird der Feind erwartet. Ich entdecke ihn durch einen Spalt in einem Fensterladen. Mein Erzeuger flößt mir Angst ein. Großvater bezieht an der Türschwelle Stellung, er fuchtelt mit seinem Spazierstock bedrohlich herum und geifert meinen Vater theatralisch an: »Verschwinden Sie, Sie Schuft!«
    Und ich lache, ich kann nicht anders. Mein Großvater schwingt seinen Spazierstock wie ein Schwert und nimmt mit ruckartigen Bewegungen die Verfolgung des Verjagten auf.
    Ein Jahr später stellt unser Vater wieder einen Antrag. Er möchte uns in den Ferien für vierzehn Tage nach
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