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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise
Autoren: Gary Shteyngart
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Sicherheit war und das Land verließ, aber die Details waren mir zu peinlich – wie die Nanabragovs mir die Ehre genommen hatten und eine von ihnen (die sanfteste und netteste, gewiss) nun schnarchend in meinem Zugabteil lag. Stattdessen griff ich zu einer der russischen Zeitungen und versuchte, mich mit den Meldungen abzulenken. Die Zahl der Opfer des Konflikts in Absurdistan näherte sich der Dreitausendermarke, das amerikanische Wahlvolk konnte das Kaspische Meer noch immer nicht auf der Karte finden, und der russische Präsident Putin kündigte an, die Kriegsparteien gleichzeitig bombardieren und zwischen ihnen vermitteln zu wollen. Ich legte die Zeitung weg. Plötzlich schmerzten mir Bauch und Mund von den Prügeln, die Tafa und Rafa mir verabreicht hatten. Vielleicht meldete sich da aber auch nur das Leid des Landes um mich herum.
    Ich malte mir mein Leben in Brüssel aus. Langsam, auf ziellose europäische Weise vergingen die Tage. Das war der Preis, den man zu zahlen hatte, wenn man ein zivilisiertes Leben führen wollte, gleichermaßen fern von dem Getriebe und dem Verrat in Amerika oder Absurdistan.
    Die älteren Schotten versuchten, den Texanern den Refrain eines ihrer Dudelsacklieder beizubringen, getränkt von melancholischer Glückseligkeit, getrieben von der Unfähigkeit, jemals wirklich Abschied zu nehmen. Die Kartoffelchips flogen ihnen aus den Mündern, die Bierkrüge schlugen gegeneinander, und der tatarische Barkeeper versuchte, mit ein paar Bierdeckeln den Takt zu halten.
Wo gute Freunde sich auch treffen
    Wann immer Schotten essen
    Hoch die Tassen, rufen wir,
    Hurra,
    Carnwarth Mill bleibt unvergessen.
    Die Sonne war ganz untergegangen, und die AmEx-Männer richteten ihre Taschenlampen auf eine gelbe Leiche, die an den Schienen entlangstolperte, wild die Arme schwenkte und um Aufmerksamkeit bettelte. Wir schlossen die Vorhänge, bevor wir die Schüsse hören konnten.

43
    Der Glaube meiner Väter
     
    Whisky vertrage ich nicht so gut, und den Kater am nächsten Morgen hatte ich mir redlich verdient. Genau da, wo der Nacken an den Grenzen des Kopfes eine Zollkontrolle eingerichtet hatte, blockierte etwas die viel befahrenen Neuronenbahnen. »Oje«, stöhnte ich und küsste Rouenna aufs Gesicht oder vielmehr auf das teigige Kissen, in das sie ihre Gerüche geätzt hatte. Habe ich Rouenna gesagt? Ich meinte natürlich Nana. Und da merkte ich, dass ich die ganze Nacht von Rouenna geträumt hatte, von der Führung durch das Hunter College, an der wir zusammen mit ihrer kleinen Kusine Mercedes teilgenommen hatten. In der Bibliothek hatte die fidele zehnjährige Mercedes gerufen: »
Ai, mami
, guck mal all die Scheißbücher.« Und Rouenna, die sich für die zwanglose Führung unpassenderweise in ein Businesskostüm geworfen hatte, gab feierlich zurück: »Hier sind alle so gebildet, hier darf man nicht fluchen, Mercedes!«
    War es das Wort »gebildet«, das mir einen Stich ins Herz versetzte? Der Respekt vor dem Bücherwissen bei einer Frau, die Dickens noch vor kurzem für einen Pornostar gehalten hatte? War es das billige Kostüm, das Rouennas Figur kaum fassen konnte? Warum fehlte es mir plötzlich so, mein Mädchen aus der Bronx mit den rauen Händen und dem blutenden Zahnfleisch, die kleine Verräterin?
    »Frühstück ist fertig, Süßer«, sagte Nana. »Greif zu, bevor es kalt wird.« Das Zugpersonal hatte einen kleinen Tisch für uns aufgebaut, und aus einem Haufen von Croissants und Muffins stieg ein ekelerregender Geruch nach Butter und Preiselbeeren auf. Als ich mich an den Tisch wuchtete, stieß ich beinahe ein Silbertablett um, auf demeine mit dem AmEx-Logo geschmückte Nachricht lag. Unter einer mitleidlosen Sonne tuckerte fröhlich eine Eisenbahn; darunter hatte eine geübte Frauenhand anmutig die Worte gesetzt:
Guten Morgen, verehrte Reisende!
    Heute ist Montag, der 10. September 2001.
    Wir durchqueren das nördliche Absurdsvanï, wo die Temperatur 28 Grad erreichen wird. Für das Starauschanski-Tal und das Griboedow-Gebirge wird sonniges Wetter erwartet.
    Im Speisewagen bieten wir Ihnen zum Lunch ein Kaviarteller mit Blinis und frisch geerntetem Lauch vom Land, gefolgt von Roastbeef in Holundermarinade (eine nordabsurdische Spezialität) an neuen La-Ratte-Kartoffeln und
cavalo nero.
    Um 15 Uhr werden wir den Grenzposten an der Roten Brücke erreichen. Bitte halten Sie Ihre Reisedokumente bereit.
    Mein Name ist Oksana Petrowna, ich bin stolz, in diesem Zug arbeiten zu dürfen, und bin
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