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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
Autoren: Dan Kieran
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eines Tages dafür, die U-Bahn zu meiden und stattdessen den Bus zu nehmen.
    Mit der U-Bahn gelangt man sehr schnell von A nach B. Das ist zweifellos effizient und sehr viel praktischer, um zur Arbeit und wieder nach Hause zu fahren, aber es ist völlig nutzlos, wenn es darum geht, ein Gefühl für diese Stadt zu entwickeln. Ich verstand bald, warum ich London als Tourist immer so abschreckend gefunden hatte. Ich erinnerte mich an Momentaufnahmen von verschiedenen Orten, die scheinbar in keinerlei Verbindung zueinander standen. London kam mir vor wie ein Durcheinander von Postkartenmotiven, die – und das war das Wesentliche – mitten im Nirgendwo lagen. Die leicht hysterischen Meldungen in denNachrichten über Verbrechen und Chaos ließen London in meiner Vorstellung zwischen Terror und Touristenklischee schwanken. Der ganze Zauber und die Geschichte dieser Stadt schienen von den rotgesichtigen Beefeatern, den Taschendieben und den Angehörigen der königlichen Familie überlagert zu werden, die nach einem anstrengenden Tag, an dem sie für Fotos posiert hatten, zweifellos alle zusammen im Hard Rock Cafe die Füße hochlegten.
    Indem ich diese Bilder auf meinen Busfahrten auslöschte, konnte ich die Stadt auf eine Weise entdecken, die nicht nur im praktischen Sinne nützlich war, und das veränderte meine Einstellung zum Leben in London vollkommen. Viele Leute waren der Ansicht, ich sei verrückt, so viel Zeit im Bus zu verplempern, wenn ich mich genauso gut an das Tempo der Metropole hätte gewöhnen können, indem ich die U-Bahn genommen hätte, doch ich sah das nicht so. Ich genoss es, mir die Zeit zu nehmen, um in den Außenbezirken und in den Parks spazieren zu gehen, und bekam einen Eindruck davon, wo ein Teil Londons endet und ein anderer anfängt; dazwischen entdeckte ich scheinbar vergessene Ecken und geheimnisvolle Straßen. Ich entwickelte sogar ein Gefühl für die Konturen der Stadt, die einem meistens verborgen bleiben.
    »Kauf dir einen Stadtplan, du Trottel«, werden Sie sagen, aber Karten haben wenig praktischen Nutzen, wenn einem die Ortskenntnisse fehlen, um sie zu verstehen. Nach etwa einem Jahr begann ich mich viel entspannter zu fühlen, wenn ich mit der U-Bahn unterwegs war. Bald hatte ich das Straßennetz erfasst, ohne es mir noch anschauen zu müssen. Die Stadt – selbst eine, die so riesig und ausufernd ist wie London – war schließlich zu meinem zu Hause geworden.
    Heute wende ich dieses Prinzip überall dort an, wo ich hinreise. Wann immer es geht, nehme ich die langsamereRoute, weil sie der Reise und den Orten, die ich besuche, eine viel größere Bedeutung verleiht, als wenn ich einfach über das Meer fliege – auch wenn das sehr viel effizienter sein mag. Vor allem aber verändert das langsame Reisen die Art und Weise, wie mein Verstand die Welt interpretiert, und in diesem Buch werde ich erklären, wie das langsame Reisen auch Ihr Denken verändern kann.

    Wenn im Eurostar Französisch gesprochen wird, trägt das zu meiner Entspannung bei – als würde ich mich durch die Reise kulturell akklimatisieren. Genau dasselbe geschieht auch in geologischer Hinsicht, wenn man sich die Zeit dafür nimmt. Kent und Nordfrankreich werden in meiner Vorstellung miteinander verbunden, wie sie es einst durch eine Landbrücke waren, die unsere Vorfahren vor Tausenden von Jahren überquert haben. Nur an den andersartigen Strommasten und den Autos, die auf der falschen Seite fahren, merkt man, dass man im Ausland ist. Das langsame Reisen nagt an dem Gebilde der nationalen Identität, und die Grenzen zwischen den Nationen offenbaren ihre Unbeständigkeit. Wenn man eine Stadt im Zug und nicht im Flugzeug erreicht, verändert sich auch das Gefühl für das Reiseziel. Der Gare du Nord eröffnet einem einen Blick auf die Stadt, der dem der Einheimischen viel eher entspricht. Vielleicht mit raueren Ecken und Kanten, aber aufregend, nicht einschüchternd, und es ist viel leichter, sich unters Volk zu mischen und sich davonzumachen. Wer und was man ist, bleibt wunderbar undefiniert.
    Ganz anders ist es beim Fliegen. Wenn man am Flughafen Charles de Gaulle landet, wird man sofort in eine Schublade gesteckt. Man wird mit Werbung, Broschüren undAngeboten bombardiert, die einen zu einem Touristen machen, ob es einem gefällt oder nicht. Ehe man sich’s versieht, wird man unbewusst auch wie ein Tourist denken . Gerade erst gelandet, wird man schon Teil eines Wirtschaftssystems, um im Austausch für die
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