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Slant

Slant

Titel: Slant
Autoren: Greg Bear
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weiter vorrücken zu können.
    Im Zwischenraum wird es immer enger, als Röhren aus anderen Teilen des Gebäudes dazukommen. Ein großer Teil ist Infrastruktur, die durch Nano angelegt wurde, ein nahtloses organisches Gewirr, das an Kapillargefäße erinnert und in farbcodierten Bündeln schwarz, rot und grün glänzt. Ein Wartungsarbeiter würde sich hier ohne Probleme zurechtfinden, aber für ihn ist alles ohne Bedeutung.
    Trotzdem gelingt es ihm, die kleinen grauen Röhren mehrere Meter weit zu verfolgen, wobei er sich gelegentlich durch Bündel aus Drähten, Glasfasern oder andere Röhren zwängen muss. Er blickt über die Schulter zurück und stößt ein paar stimmlose Flüche aus, um seine Selbstbeherrschung zu testen. Er hebt die Hand an die Lippen und leckt über die behaarte Haut. All das ist so erniedrigend.
    Zehn oder hundert Millionen, die unter den Folgen dessen leiden, was durch diese Röhren gepumpt wird. Er schiebt sich weiter, hofft, ein einfaches Ventil zu finden, irgendeine Sperre…
    Kein Glück. Die Röhren verschwinden in einer Wand. Er hat das Ende einer Sackgasse erreicht.
    Martin knirscht mit den Backenzähnen, wie er es als Teenager ständig getan hat. All seine Jugendsünden und Charakterfehler liegen hinter einer dünnen Papierwand und nun sammeln sie sich zum Aufbruch, bespucken das Papier, schwächen es und warten darauf, durchbrechen zu können.
    Er spürt, wie das verkorkte Fläschchen in seiner Hosentasche gegen seine Hüfte drückt. Er hat sie aus dem Labor mitgenommen, genauso wie das kleine elektronische Werkzeug, mit dem sich Glasröhren schneiden und verbinden lassen. Es müsste auch gegen eine Röhre dieses Kalibers einsetzbar sein.
    Martin betastet die Röhre mit Daumen und Zeigefinger. Kunststoff. Installiert, nachdem das Architektur-Nano seine Arbeit abgeschlossen hatte. Als ob es den Erbauern nachträglich eingefallen war…
    Er holt das Werkzeug und die Flasche hervor und stellt beides auf der Oberseite der Hängedecke ab, während er sich ächzend in Position bringt. Dann setzt er das Schneidwerkzeug mit ausgestreckten Armen an die Röhre, auf der von seinem Gesicht abgewandten Seite, und schaltet es ein. Er schneidet eine flache Furche hinein und ein feiner weißer Nebel sprüht in die Dunkelheit hinaus. Mit der Taschenlampe in der anderen Hand verfolgt er den Weg des Sprühnebels.
    Keine Zeit zum Nachdenken. Er zieht den Stöpsel aus dem Fläschchen und hält es unbeholfen hinter die Röhre, um ein paar Tropfen der Flüssigkeit aufzufangen. Nachdem er das Fläschchen wieder verkorkt hat, nimmt er noch einmal das Schneidwerkzeug auf und zieht den vibrierenden Strahl vollständig durch die Röhre. Für einen Moment ist der Zwischenraum in Nebel gehüllt, dann reagiert ein Ventil und unterbricht den Strom.
    Martin zieht sich zurück, windet sich rückwärts durch den Deckenzwischenraum, stößt sich mit Händen und eingeknickten Beinen ab und hält den Atem an, so lange es geht.
    Als er aus der Öffnung rollt und sich auf die Leiter fallen lässt, packen ein Mann mittleren Alters und eine jüngere Frau seine Fußknöchel und helfen ihm beim Abstieg. Die Leiter rutscht zur Seite weg, und er hängt für einen Augenblick unter der Decke, bevor er zu Boden stürzt.
    Martin stößt explosionsartig den angehaltenen Atem aus und schnappt sofort laut keuchend nach frischer Luft. Einen Moment lang hockt er mit gerötetem Gesicht auf den Knien und blickt zum Mann und zur Frau auf. Fremde. Ihre Gesichter verschwimmen.
    »Wir sind Ärzte«, sagt die Frau. »Man hat uns gesagt, wir sollten hier helfen.«
    »Ich glaube, wir haben uns verlaufen«, gesteht der Mann und hebt eine grobe Papierskizze.
    »Ärzte?«, fragt Martin atemlos.
    »Tierärzte, um genau zu sein«, sagt der Mann.
    Martin presst die Lippen zusammen und die Hände gegen den Körper. Als er sich endlich wieder zu sprechen traut, beginnt er mit einem Stottern und fragt: »Haben Sie irgendwelche Erfahrungen mit medizinischem Nano?«
    »In der Republik?« Die Frau schnauft verächtlich. »Sie machen wohl Witze.«
    »Wie geht es Ihnen?«, fragt der Mann.
    »Nichts gebrochen«, erwidert Martin. Er hebt das Fläschchen mit zitternder Hand und mustert den Inhalt.
    Dann spürt er etwas kommen, so unaufhaltsam wie ein Güterzug, und stellt die Flasche auf einen Labortisch. Der Anfall packt ihn mit voller Gewalt, und er brüllt wütend die Ärzte an, die erschrocken in den Korridor zurückweichen.

 
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    Auf dem letzten der
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