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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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Sizilianer mitschuldig an der Katastrophe, die am Ende des Zeitalters den Vorderen Orient und die Ägäis heimsuchte. Abgesehen davon, dass die schlichte Gleichsetzung der in den Inschriften genannten Völker mit erst viel später bezeugten Ethnien wie Etruskern und Sikelern abenteuerlich anmutet, säen neuere Forschungen erhebliche Zweifel daran, dass tatsächlich großräumige Wanderungen die mächtigen Reiche und stolzen Städte der Spätbronzezeit zu Fall brachten. Mobile Gruppen, die den Frieden im östlichen Mittelmeer bedrohten, waren um 1200 v. Chr. keineswegs eine neue Erscheinung: Hethiter, Ägypter und Levantiner hatten sich mit ihnen seit Jahrhunderten herumschlagen müssen. Die Wanderer kamen auch nicht von weit her, sie hatten ihre Rückzugsgebiete in unzugänglichen Gegenden der Region selbst und waren oft von ihrem Land verdrängte Bauern. Sie wurden erst in dem Moment zur tödlichen Gefahr, als das System der großen, Unmengen von Ressourcen verschlingenden Palastzentren an der Überdehnung seiner Kräfte zu zerbrechen drohte. Nicht Eindringlinge von außen, sondern innere Widersprüche brachten die Kolosse zu Fall, die in Wahrheit längst auf tönernen Füßen standen.
    |20| Auch wenn die Sizilianer also kaum Urheber der Katastrophe waren, so bekamen sie doch ihre Folgen zu spüren, wenigstens mittelbar. Die Kontakte mit dem Osten, die durch die Siedlung von Thapsos und die zahlreichen Importfunde belegt sind, scheinen vollständig abgerissen zu sein. Dennoch hatten sie ihre Wirkung auf die einheimische Gesellschaft offensichtlich nicht verfehlt. In Pantalica, auf einem Gipfel knapp 25 km westlich von Thapsos, brachten Grabungsarbeiten bereits um 1900 ein großes Steingebäude mit Innenhof ans Licht, das offensichtlich auch eine Schmiede beherbergte. Während von der Siedlung nichts erhalten ist, zeigen zahlreiche Grabfunde an, dass Pantalica ab dem späten 13. Jh. v. Chr. ein bedeutendes Zentrum war. Es scheint in einer Reihe zu stehen mit anderen protostädtischen Bergsiedlungen der Periode, die das bisherige Netz aus vielen, meist in der Ebene liegenden Dörfern ablösten. Rückzug in befestigte Orte auf Hügel- und Bergkuppen ist meist die Reaktion auf anbrechende Krisenzeiten, mit Krieg und Zerstörungen. Möglicherweise griffen Wirren, die das italienische Festland bereits erfasst hatten, auf die Insel über. Andererseits mag die Konzentration der Bevölkerung auf weniger, dafür aber größere Siedlungen ein Mehr an sozialer Komplexität bedeutet haben. Sizilien befand sich am Ende der Bronzezeit fraglos im Umbruch. In welche Richtung der Prozess aber genau verlief, entzieht sich unserer Kenntnis: Auf die Pantalica-Ära folgte auch in Sizilien, wie überall im Mittelmeer, ein Dunkles Zeitalter.

|21| III  Intermezzo: Das Mittelmeer der Dunklen Jahrhunderte
    Mit dem Einbrechen des Dunklen Zeitalters zerfielen die großräumigen Netzwerke, die in der Bronzezeit das östliche Mittelmeer zusammengehalten und mit entlegenen Regionen Europas verbunden hatten. Regionale Austauschsysteme blieben hingegen meist intakt oder bildeten sich sogar neu. Und nicht überall verfielen die urbanen Zentren der Bronzezeit: An der Küste Syriens und Palästinas, besonders in ihrem mittleren und südlichen Abschnitt, verschonte der allgemeine Niedergang viele Städte, manche blühten sogar kurz im 12. Jh. v. Chr. erst richtig auf. Städte wie Gaza, Ekron und Aschdod, die das Alte Testament den Erzfeinden der Hebräer, den „Philistern“, zuschreibt, waren bereits im 11. Jh. über ihre eisenzeitlichen Mauerringe hinausgewachsen. Und in Nordsyrien taten lokale Machthaber so, als sei das Hethiterreich gar nicht untergegangen: Sie sonnten sich weiter im Glanz des anatolischen Imperiums und führten in ihrer Metropole Karkamisch eine aufwändige, hethitische Traditionen fortsetzende Hofhaltung.
    Doch das waren Ausnahmen. Im Großen und Ganzen verzeichnet die Archäologie im gesamten östlichen Mittelmeerraum dramatische Einbrüche: Große, bereits quasi-städtische Zentralorte um die Palastzentren machten kleinen, dörflichen Streusiedlungen ohne nennenswerte soziale Differenzierung Platz; Importwaren verschwanden aus der materiellen Kultur; Schriftsysteme – wie die mykenische Linear-B-Schrift – gerieten in Vergessenheit. Die auf die Katastrophe von 1200 v. Chr. folgenden Jahrhunderte sind nicht nur für uns kaum durch textliche oder materielle Zeugnisse zu erhellen – und daher vermeintlich „dunkel“ –,
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