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Sintflut

Sintflut

Titel: Sintflut
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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trennen.
    Aus den anderen Gebieten des Landes erschien die Schlachta[der kleine Landadel] nur spärlich, und so blieb das Vaterland ohne den rechten Schutz; aus dem frommen Laudagebiet allein war Mann für Mann in den Kampf gezogen. Nur Pan Wolodyjowski blieb daheim; er lag krank auf dem Gute Pan Gasztowts.
    Nun war es öde und leer im Laudagau. Still war es in Poniewiez und Upita. Nur Frauen und Greise versammelten sich an den Herden und warteten sehnsüchtig auf Nachrichten.
    Panna Alexandra schloß sich in Wodokty ein, und nur ihre Dienerschaft und ihre Laudaer Vormünder bekamen sie zu sehen.

1. Kapitel.
    Man war im Januar des Jahres 1655. Es war ein trockener, strenger Winter. Das heilige Smudien war in einen weißen, ellendicken Pelz eingehüllt. Die Wälder bogen sich und brachen fast unter der Last des Schnees, der an sonnenhellen Tagen die Augen blendete und des Nachts in Millionen verschiedener Farben glitzerte. Die wilden Tiere kamen bis dicht an die menschlichen Wohnungen, und die grauen Vögel klopften mit ihren Schnäbeln an die von Eisblumen bedeckten Fensterscheiben.
    Eines Abends saß Panna Alexandra mit ihren Dienstmägden in der Gesindestube. Bei denen von Billewicz' war es von alters her Sitte, wenn keine Gäste da waren, die Abende mit dem Gesinde gemeinsam zu verbringen. So tat auch Panna Alexandra; denn viele ihrer Mägde waren adlige arme Waisen, andere Bauernmädchen, die sich jedoch nur durch die Sprache von den ersteren unterschieden. Viele von ihnen sprachen überhaupt nicht polnisch.
    Panna Alexandra saß mit ihrer Verwandtin, Panna Kulwiec, in der Mitte des Zimmers; ringsherum an den Wänden auf Bänken die Mägde. Alle spannen. Große Kiefernscheite brannten im Kamin, deren Schein die dunklen Wände des sehr großen Raumes und die niedere Balkendecke beleuchteten. Überall hingen von den Balken Strähnen gekämmten Flachses herab. An den Wänden glitzerten gleich Sternen bleierne Gefäße in allen Größen, die auf schweren, eichenen Brettern standen.
    Panna Alexandra ließ schweigend den Rosenkranz durch ihre Hände gleiten, und die Spinnerinnen spannen, ohne ein Wort zu wechseln. – An der Tür saß ein zottiger Smudier und drehte mit vielem Geräusch eine Handmühle. Ab und zu, wenn die Mühle nicht in Ordnung war, hörte er laut schimpfend auf. Dann erhob Panna Alexandra, wie aus einem Traume kommend, den Kopf.
    Sie war ein hübsches Mädchen, mit edlen Gesichtszügen, mit dichtem, flachsblondem Haar und blauen Augen, die ernst unter den schwarzen Brauen hervorsahen. Das schwarze Trauerkleid gab ihr ein etwas düsteres Aussehen. Sie war ganz in Gedanken versunken und sann über ihre eigene, so unklare Zukunft.
    Das Testament des Großvaters bestimmte ihr, der Zwanzigjährigen, einen Menschen zum Manne, den sie seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen hatte. Aus ihren Kindheitstagen hatte sie nur eine sehr unklare Erinnerung von einem halbwüchsigen Hitzkopf, der während des Aufenthalts mit seinem Vater in Wodokty sich mehr mit der Büchse in den Sümpfen herumtrieb, als im Hause war.
    »Wo kann er jetzt sein? und wie mag er aussehen?« dachte sie unaufhörlich.
    Aus den Erzählungen des Großvaters wußte sie, daß er ein sehr tapferer Ritter war, von sehr heißem Geblüt. Wäre nicht der Krieg gewesen, so hätte er sich schon längst der Braut vorgestellt. Vielleicht sehnte sie sich nach dem unbekannten Bräutigam. In ihrem reinen, von keiner Leidenschaft berührten Herzen wohnte ein tiefes Bedürfnis nach Liebe. Ein Funken würde genügen, um auf diesem Herde ein Feuer zu entflammen, – ein ruhiges, gleichmäßiges, unauslöschliches Feuer.
    Oft ergriff sie eine Unruhe, die ihre Seele bald mit süßen Träumereien erfüllte, bald mit schweren Fragen peinigte, auf die sie keine bestimmte Antwort fand. – Wird er mich aus freiem Willen ehelichen? Wird er meine Zuneigung erwiedern? Wird er mich liebgewinnen? – Und eine Gedankenfülle bestürmte sie, wie ein Zug Vögel, der sich auf einen einsam in öder Steppe stehenden Baum niederläßt. – Wer bist du? Wie bist du? Lebst du noch irgendwo in der weiten Welt, oder bist du auf dem Schlachtfelde gefallen? Bist du fern oder nahe? – Das offene Herz der Panna, einem Tore gleich, das zum Einzug lieber Gäste weit offen gehalten wird, rief unwillkürlich den fernen Ländern, den schneebedeckten Wäldern und Feldern zu: »Komm, Ritter! komm! Gibt es etwas Schwereres in der ganzen Welt als die Erwartung!«
    Und plötzlich, gleichsam
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