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Sinnliche Maskerade

Sinnliche Maskerade

Titel: Sinnliche Maskerade
Autoren: Jane Feather
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verzog er das Gesicht, als er das feuchte Stroh und den Unrat sah. Die Frau in der Mitte der Zelle starrte ihn reglos an und blinzelte, als habe sie seinesgleichen noch nie zuvor gesehen.
    »Mistress Hathaway?« Anders hatte er sie noch nie genannt, und da sie immer noch aussah wie die jüngferliche Bibliothekarin mittleren Alters, die ihm bekannt war - jedenfalls soweit er es im Dämmerlicht beurteilen konnte -, fiel ihm auch nicht ein, wie er sie sonst hätte ansprechen sollen. Als er genauer hinschaute, stellte er fest, dass ihre Erscheinung sich durchaus verändert hatte. Sie, die sonst nur tadellos anständig und sauber auftrat, war jetzt vollkommen zerzaust; das Haar hing ihr strähnig und ungepflegt über die Schultern. Tiefe Schatten zeichneten sich unter ihren Augen ab, und im Dämmerlicht der Talgkerze schimmerte ihre Haut wachsbleich. Ihr Kleid war so schäbig, wie er es in Erinnerung hatte, aber der Buckel war verschwunden, und der Stoff hing in losen, schlaffen Falten um ihren Körper, der dürr und zerbrechlich wirkte.
    »Du lieber Himmel, was hat man Ihnen hier nur angetan?«, hörte er sich ausrufen, nachdem der Wärter die Tür geschlossen und den Schlüssel umgedreht hatte.
    Alexandra brauchte einen Moment, bis sie ihren Besuch erkannte. Sie war nicht besonders vertraut mit ihrem Stiefbruder, sie hatte ihn tatsächlich kaum öfter gesehen als gelegentlich am Dinnertisch auf Combe Abbey. Jetzt schüttelte sie den Kopf, als wollte sie die Verwirrung verscheuchen.
    »Master Crofton ... ich ... was machen Sie hier?«
    »Darüber zerbrechen Sie sich mal nicht den Kopf. Können Sie gehen?«
    »Ja ... ja, natürlich.« Sie spürte, wie das Blut in ihr wieder zu zirkulieren begann. Irgendwie hatte irgendjemand erfahren, dass sie hier eingesperrt war — irgendjemand, der keinen Grund sah, ihr wehzutun. Und dieser Jemand würde Perry eine Nachricht überbringen können. »Ich bin erst seit ein paar Tagen hier. Glaube ich jedenfalls. Aber in Wahrheit ist es schwer, hier unten Tag und Nacht auseinanderzuhalten.«
    »Das wundert mich nicht«, gab er schaudernd zurück, »oben kümmert Peregrine sich um den alten Mann. Sobald er hier unten ankommt, müssen wir sofort rausgehen. Und wir müssen hier rausgehen, als hätten wir einfach nur oben im Rathaus unsere Angelegenheiten erledigt.« Er neigte den Kopf und lauschte auf Geräusche von oben, aber Wände und Decken waren so dick, dass kein Geräusch in den Kerker hinabdrang.
    Alex rang mit ihrer Verwirrung. Wie war Peregrine hierhergelangt? Warum war ihr Stiefbruder in die Sache hineingezogen worden? Aber all diese Fragen verloren an Bedeutsamkeit, als sie registrierte, was er gerade gesagt hatte.
    »Verraten Sie mir einfach nur, was ich zu tun habe«, antwortete sie.
    Peregrine hatte darauf bestanden, den Wärter selbst bewegungsunfähig zu machen, denn falls der Mann verletzt würde, sollte Marcus nichts damit zu tun haben. Soweit sie es bis jetzt beurteilen konnten, war nur ein Wärter im Dienst, und wenn die Götter ihnen gewogen blieben, würde sich daran auch nichts ändern. Den alten Mann würde er bestimmt mit links erledigen können. Außerdem war es enorm beruhigend, dass weder der ältliche Wächter noch der Büttel sie wiedererkennen würden. Perry selbst war in Dorchester vollkommen unbekannt, und auch Marcus dürfte mit Leuten wie einem Gefängniswärter oder einem Büttel kaum je zuvor zu tun gehabt haben. Wenn sie also einen sauberen Abgang ohne Verfolgung hinlegen konnten, würden sie frei sein, bevor überhaupt jemand begriffen hatte, was geschehen war. Die Gefangene würde wie vom Erdboden verschluckt sein, die Bibliothekarin nicht mehr als bloße Erinnerung. Und in der strahlenden, selbstsicheren Ehefrau des Honorable Peregrine Sullivan würde niemand die schüchterne, mausgraue Jungfer suchen.
    Jedenfalls zählte er darauf. Und als er ein paar Minuten nach Marcus achtlos in das Rathaus stürmte, schoss ihm ein alter Aphorismus durch den Kopf: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Wer eine Verbrecherin heiratet, wird sich auf der anderen Seite des Gesetzes wiederfinden. Er, Peregrine Sullivan -ein aufrechtes Mitglied der Gesellschaft mit strengem Ehrenkodex, dessen oberstes Lebensziel darin bestand, die Ehre des ehrwürdigen Namens der Blackwaters zu schützen —, war drauf und dran, ein Verbrechen zu begehen, höchstwahrscheinlich ein Gewaltverbrechen, welches ihn an den Galgen bringen konnte.
    Als er eintrat, war die Rathausstube
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