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Silence

Silence

Titel: Silence
Autoren: Savannah Davis
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nicht denken, ich hätte vor, ihn anzugreifen. Aber er soll wissen, dass Kayla verhungern wird, wenn er nicht teilt.
    »Kayla geht es nicht gut«, sage ich deshalb, während ich weiter rückwärtsgehe.
    Plötzlich macht er einen Schritt zur Seite. »Es ist kein Reh«, sagt er. »Ich will nicht, dass du mich hasst, weil du denkst, ich würde nicht mit dir teilen wollen.«
    Ich runzle die Stirn und trete wieder näher an die dunkle Stelle im Schnee heran. Erst kann ich kaum erkennen, was da vor mir liegt. Doch dann sehe ich die Umrisse des Körpers; Arme, Beine, verbrannte Kleidung. Mit einem Keuchen weiche ich zurück. Ich drücke mir die Hand auf die Nase. Erst jetzt wird mir der Geruch von verbranntem Fleisch richtig bewusst. Verbranntes Fleisch, das nicht einem Tier gehört.
    »Tut mir leid. Es ist ein Kind. Es muss gestern Abend hergekommen sein. Der Hunger hat es genauso wie uns hergetrieben.«
    Die Leiche ist nicht größer als Kayla. Die Haut im Gesicht hängt in verkohlten Fetzen herunter. Die Augenhöhlen starren mich leer an. Ich habe noch nie etwas so Grauenhaftes gesehen. Angewidert wende ich das Gesicht ab. Stolpernd bewege ich mich weiter rückwärts, weg von dem, was da im Schnee liegt. Dann drehe ich mich um und renne. Für heute habe ich genug.
    Ohne anzuhalten laufe ich auf das Haus des Oberaufsehers zu. Der Metalleimer, den Mutter immer für die Gartenarbeit benutzt hat, schlägt bei jedem Schritt gegen mein Bein. Ich ignoriere den Schmerz. Das Haus des Aufsehers steht auf der anderen Seite der Kolonie, nahe bei den Karamfeldern. Die Sonne ist mittlerweile vollständig aufgegangen. Am Himmel ist keine einzige Wolke zu sehen. In den letzten Tagen war es klirrend kalt. Viel wärmer wird es heute auch nicht werden, aber schön genug, um mit Kayla etwas im Wald zu spielen. Wer weiß, vielleicht finden wir ja doch irgendetwas Essbares. Hoffnung habe ich keine.
    Vor den großen Eisentoren des Lagers hat sich schon eine Menschenschlange gebildet. Jeden Morgen öffnet der Aufseher die schweren Tore, die das Lager vor Eindringlingen schützen sollen. Mehrere Männer sind nötig, um die rostigen Türen aufzustemmen. Sie machen dabei ein kreischendes Geräusch, als würden sie dagegen protestieren wollen, dass das Lager seiner kleinen Schätze beraubt werden soll. Ich stelle mir oft vor, dass das hohe Kreischen in Wirklichkeit ein Ruf wie die Hupe der Laster ist.
    Ich schließe mich der Reihe wartender Menschen an, um unsere tägliche Ration an Kohle und Holz, für den kleinen Ofen in unserer Hütte abzuholen. Jedes Jahr kurz bevor der Winter beginnt, bringen Leibsklaven mehrere Laster mit Brennstoffen, damit wir im Winter nicht erfrieren. Auch dieses Jahr sind die kohlebeladenen Fahrzeuge gekommen. Keiner hat mit ihnen gerechnet, da die Nahrungsmittellieferungen so selten geworden sind. Aber sie sind gekommen. Haben die Ladeflächen auf dem Versammlungsplatz entleert und dann dabei geholfen, alles in das Lagerhaus zu bringen.
    Lilly steht vor mir. Eins der Mädchen, das diesen Sommer volljährig geworden ist. Die Eltern versuchen ihre Kinder sobald sie achtzehn Sommer alt werden, zu verheiraten. So müssen sie sich um einen Esser weniger sorgen. Lilly hat einen fast zehn Sommer älteren Mann bekommen. Wen wir heiraten entscheiden die Tesare anhand unserer Chip-Daten. Nächstes Jahr werde auch ich heiraten müssen. Die meisten Mädchen freuen sich auf dieses Ereignis, weil es bedeutet, dass sie eine eigene Hütte bekommen werden. Ich habe Angst davor, mein Leben mit einem mir fremden Mann zu teilen. Und ich habe schon eine eigene Hütte – mit Kayla zusammen. Ich hoffe, ich darf Kayla bei mir behalten, wenn es soweit ist. Aber diese Entscheidung trifft der Mann, den die Aliens für mich auswählen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn er meine Schwester nicht akzeptiert. Dann müsste ich sie zurücklassen. Kayla ist noch viel zu jung, um allein in einer Hütte für sich zu sorgen. Ich wische den Gedanken weg, erst mal gibt es wichtigere Lasten.
    Die Reihe vor mir wird schnell kleiner. Jeder bekommt einen Eimer voll Braunkohle und Holz, das muss bis zum nächsten Tag reichen. Als ich dran bin, reiche ich dem Oberaufseher meinen Metalleimer. Ich lächle den Mann an, der nicht viel älter ist, als unser Vater als er starb – etwa fünfunddreißig Sommer. Ich mag den neuen Aufseher. Er ist nicht so aufbrausend und streng wie der andere. Er nimmt meinen Eimer, lächelt zurück und reicht ihn weiter an einen
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