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Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Titel: Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
Autoren: Linda Lael Miller
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begraben.«
    Aidan war entsetzt und unendlich
verwirrt. Er fühlte sich sehr merkwürdig; sein Körper war schwach wie im
Augenblick des Todes; er vermochte kaum die Augen aufzuhalten, während seine
Seele auf den Schwingen einer dunklen Euphorie dahin-schwebte. »0 Gott«,
flüsterte er, »was ist mit mir?«
    Lisette erhob sich, aber das änderte
nichts für Aidan, denn er war nicht mehr fähig, auch nur einen einzigen Muskel
zu bewegen.
    »Das wirst du bald sehen, Liebling«,
erwiderte sie. »Aber du kannst dir die Mühe, Gott um Hilfe anzurufen, ersparen.
Um Wesen unserer Art kümmert er sich nicht.«
    Aidan bemühte sich verzweifelt,
aufzustehen, aber er hatte nicht mehr die Kraft dazu, konnte nur in entsetztem
Schweigen zusehen, wie Lisettes Gestalt sich in wirbelndem, glitzerndem Nebel
auflöste. Sie war fort, und obwohl Aidan bei vollem Bewußtsein war, begriff er,
daß sie ihn ermordet hatte.
    Er konnte weder sprechen noch
aufstehen, sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, und er atmete nicht mehr. Als
die ersten Sonnenstrahlen in den Raum drangen, war er blind. Sein Fleisch
brannte wie auf einem Scheiterhaufen, aber Aidan wußte jetzt, daß der Schmerz
keine körperliche Ursache hatte. Er war tot, wie Lisette gesagt hatte, und
trotzdem war ihm nur allzu deutlich bewußt, was um ihn herum geschah.
    Ein Dienstmädchen, das hereinkam, um
das Zimmer aufzuräumen, fand ihn später an diesem Morgen. Ihre Schreie gellten
in seinen Ohren, er versuchte, sich zu bewegen, zu reden, ihr zu zeigen, daß er
bei Bewußtsein war, aber es war alles sinnlos. Aidan war eine lebende Seele,
die in einem Leichnam gefangen war.
    Er war sich auch der anderen bewußt,
als sie kamen. Es war, als habe der bewußte Teil seines Seins sich an die
Zimmerdecke erhoben, um auf die anderen herabzuschauen. Zwei Männer befanden
sich im Raum, der Tavernenbesitzer und sein Sohn, doch bald erschien auch ein
Priester.
    Der Junge hängte die Tür aus, und
sie legten Aidans hilflosen Körper auf die hölzerne Bahre. Er konnte nicht das
Geringste tun, um sie daran zu hindern.
    »Arme Seele«, sagte der Priester und
machte das Zeichen des Kreuzes über Aidans sterblichen Überresten. »Was mag ihm
zugestoßen sein?«
    »Er ist als glücklicher Mann
gestorben«, erwiderte der Junge grinsend. Es schien ihn nicht zu stören, daß er
mit einem Vertreter Gottes sprach. »Ich habe die Frau gesehen, die bei ihm
war, und die Geräusche gehört, die beide verursachten!«
    Aidan kehrte von der Zimmerdecke in
seinen reglosen Körper zurück und versuchte, etwas zu bewegen — ein Ohr, eine
Wimper, einen Gesichtsmuskel. Nichts. Schwärze hüllte ihn ein, sog ihn auf, mit
Hirn und Seele, und plötzlich war er niemand mehr und nirgends.
    Als er erwachte, war er immer noch
nicht fähig, sich zu rühren. Er wußte jedoch aufgrund jenes merkwürdigen
siebten Sinnes, den er kurz nach Lisettes Angriff entwickelt hatte, daß er,
mit zwei Münzen auf den Augen, im Hinterzimmer eines Totengräbers lag. Beim
ersten Tageslicht war er in einen Sarg gebettet und nach Hause nach Irland
gebracht worden, endlich keine störende Verantwortung für seinen reichen
englischen Vater mehr. Seine Mutter, eine dunkelhaarige Tavernenkellnerin, eine
Frau, die stets ein Lachen bereit hatte und noch bereitwilliger ihre Röcke hob,
würde vermutlich eine Zeitlang trauern, aber am schlimmsten würde Maeve leiden.
Maeve, seine Zwillingsschwester, die Gefährtin seiner Kindertage, das
Gegenstück seiner Persönlichkeit.
    Hoffnung erwachte in Aidans Sein,
als er eine kühle Hand auf seiner Stirn spürte; seine Hoffnung erstarb, als er
die Stimme seiner Mörderin erkannte. »Na also, ich habe dir doch gesagt, daß
ich dich holen würde«, sagte sie und plazierte einen kühlen Kuß, wo eben noch
ihre Hand gelegen hatte. »Hast du Angst gehabt, mein Liebling? Vielleicht wirst
du jetzt begreifen, was es bedeutet, mich herauszufordern.«
    Eine heftige, unerklärliche Angst
erfaßte Aidan, doch er war nicht fähig, etwas zu sagen. In seinem Innersten
schrie er auf, als sie sich über ihn beugte und ihre Zähne sich in seine Haut
bohrten wie Nadeln in ausgetrocknetes Pergament. Im nächsten Augenblick schien
flüssige Energie in ihn hineinzuströmen; er konnte wieder sehen und hören, mit
kristallklarer Schärfe, obwohl er noch immer keinen Herzschlag spürte und auch
keinen Atem. Eine unirdische, unfaßbare Macht erwuchs in ihm, gewann an Kraft
und sprudelte in ihm auf wie Lava, die durch die Kuppe
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