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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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seine Frau hatte gesagt, Rauchen verdopple die Hausarbeit.
    Seine Frau war schön gewesen, schwanger, als sie einwilligte, ihn zu heiraten, er hätte nie gewagt, sie zu |13| schwängern. Wochen später sagte sie, sie habe es verloren, das ändere nichts, dafür sei es zu spät. Er hatte genickt. Hatte
     zugesehen, wie sie das Haus mit Möbeln füllte, jeden Morgen ihre Lippen nachzog und beim Frühstück mit einem geübten Messerhieb
     ihr Ei köpfte. Wie sie ihren Finger anfeuchtete, ehe sie die Seite einer Illustrierten umblätterte. Bei jeder Zeile leise
     nickte, wenn sie die französischen Vokabeln für den Volkshochschulkurs durchging. Hatte gewartet, doch sie musste mehr verloren
     haben, denn, gleich wie oft und fest und entschlossen sie es versuchten, in ihr wuchs nichts.
    Sie habe nicht geheiratet, um arbeiten zu gehen, sagte sie. Sie war zu Hause geblieben, hatte Kurse besucht, einen Lesezirkel.
     Bridge gespielt. Wenn er Nacht- oder Frühschicht hatte, hatte er ihr den Frühstückstisch gedeckt, ehe er zum Dienst ging.
     Mit Eierbecher und Stoffserviette, Letztere zu einem Segel gefaltet. Hatte Marmelade in Schälchen gefüllt, je zwei Käse- und
     zwei Wurstscheiben aufgerollt und auf einen Teller getan, Butter in kleine Vierecke geschnitten und dazwischengelegt, hatte
     alles mit Klarsichtfolie überzogen und in den Kühlschrank gestellt. Am Anfang, um ihr eine Freude zu machen, später, damit
     sie nicht fragte, warum er es unterließ.
    Sie kaufte Bücher, ließ Regale anfertigen, dunkel und massiv an der kurzen Seite des Wohnzimmers. Wenn sie ausgingen, lachte
     sie viel und erzählte von dem Vertreter, der gesagt habe, sie müsse nichts über sich sagen, ein Blick auf ihre Bücher sei
     eine Offenbarung gewesen. Ihr Haar wurde immer kürzer, begann sich in erzwungenen |14| Drehungen und Wellen zu winden, am Ende färbte sie es braun. Ihr Kinn, keck hatte er es genannt, gerne behutsam mit dem Zeigefinger
     drübergestrichen, wenn sie ihn ließ, wurde weicher, dehnte sich aus in Richtung Hals. Die wunderbare Wölbung zwischen Auge
     und Braue kam ins Rutschen. Ihre Wangen verlängerten sich nach unten, hingen in weichen Bögen über die Kinnlinie hinab. Er
     hörte auf, sie anzusehen, später auch, sie zu berühren. Irgendwann stellte er sich vor die Regale und suchte. Fand nichts
     außer
Menschen im Hotel
von Vicki Baum,
Nofretete , Kaiserin und Liebende
oder
Nero, Wahn der Macht
. Darunter zwei Bände Nietzsche, ungelesen. Camus mit Lesezeichen auf Seite zwölf. Die anderen bekämen immer den Kuchen und
     sie nur die Krümel, die übrigblieben, sagte sie, und nachts hörte er sie manchmal weinen.
    Einfamilienhäuser und Parzellen mit Datschen zogen vorbei, der Himmel immer noch klar, der Schnee intakt. Vorbei an Gärten
     mit hartgefrorenen Gemüsebeeten, mit Holzschuppen, mit Apfelbäumen, an denen kleine, saure Winteräpfel hingen, die trotz ihrer
     roten Backen blass und kränklich aussahen.
    Er war heimgekommen vom Dienst. War durch die Terrassentür in den Garten gegangen, denn er hatte gerufen, und sie hatte nicht
     geantwortet. Still lag sie. Inmitten der feuchten, sich schwerfällig im Wind wölbenden Wäsche, der ächzenden, schwarz lackierten
     Pfähle, zwischen denen die Leine gespannt war, der hüpfenden Amseln auf dem kurzgemähten Rasen, inmitten der Bienen, Wespen,
     Hummeln, die um Blüten kreisten, lag sie still. Lag auf der Seite, ein paar Zentimeter |15| neben ihr der bunte Klammerbeutel. Neben dem Klammerbeutel blühten Gänseblümchen. Er war ins Haus zurückgegangen, hatte die
     Dienstmütze an die Garderobe, die Jacke auf einen Bügel gehängt. Hatte die Kamera geholt.
    Die Bücher verschenkte er mitsamt den Regalen an einen Trödler. Der Trödler war zuerst misstrauisch, untersuchte Regale und
     Bücher mehrmals nach Holzbock und anderem Ungeziefer, ehe er sie abholte.
    Der Zug fuhr eine große Kurve, nächster Halt Frankfurt/Oder wurde über den Lautsprecher angesagt, zwei leere Bierdosen, pulvrig
     graue Zigarettenasche um die Trinköffnung, kippten um, rollten erst langsam und dann immer schneller den Gang hinunter.
    Lichtstrahlen schossen durch schnell vorbeiziehende Tannenstämme. Trommelfeuer hatten sie das genannt, als der Zug ihn an
     Sommermorgenden zur Volksschule nach Stettin fuhr. Lichttrommelfeuer – nicht fotografierbar.

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    |17| 2.
    »Die Fahrkarte bitte.« Der Schaffner war eine Frau, einen silbernen Knipser in der rechten Hand, die Linke ein wenig
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