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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Autoren: Chris Harrison
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Andranesi sind, sind für mich alles höchst erstaunliche Menschen.
    Zwei Türen weiter steht eine ältere Frau auf einer verkehrsumtosten Leiter und wäscht die Fassade ihres Hauses. Ihr Eimer baumelt von der zweiten Sprosse von oben. Drei Jungen kommen auf ihren Fahrrädern vorbei, von denen sich einer anschickt, in einem waghalsigen Manöver zwischen Fassade und Leiter hindurchzuzischen. Erst in letzter Sekunde merkt er, dass er sich wohl etwas überschätzt hat, und macht einen wilden Schlenker, wobei er es irgendwie schafft, weder die Kontrolle über sein Rad zu verlieren noch die Leiter umzufahren. Die Frau, die laut Daniela Maria Pia heißt, will dem Wahnsinnigen schon ihren Schwamm hinterherwerfen, aber das Ziel ist längst um die Ecke verschwunden. Also steigt sie von ihrer Leiter, stellt sie näher an die Hauswand und schrubbt von einer niedrigeren Sprosse aus.
     
    Ein Mann mit O-Beinen fährt mit einem Traktor über eine Plastikplane voller Weizenkörner. Seine Frau folgt ihm und trennt die Spreu vom Weizen. Die Plane bedeckt die halbe Straße. Würde der Bauer seinen Traktor wegfahren, könnten die vorbeifahrenden Autos das Korn für ihn dreschen.
    Ein lautes Motorengeräusch kündigt das Herannahen eines Gefährts an, das aussieht wie eine Mischung zwischen einem Moped und einer Schubkarre. »Das ist eine Ape «, erklärt mir Daniela. Ape heißt Biene, und genau wie die Vespa , was Wespe bedeutet, wurde sie nach ihrem brummenden Motor benannt. Das dreirädrige Ding mit einer Ladefläche hinten und einer Fahrerkabine, in der sich ein Lenker befindet, ist im Grunde ein Moped. Monoton summt es am Haus vorbei, während sich die sonnenverbrannte Ehefrau den Platz auf der Ladefläche mit frisch geerntetem Gemüse teilt, dessen Wurzeln bei jeder Erschütterung etwas mehr braune Erde verlieren. In der winzigen Fahrerkabine hängt hinter dem Kopf des Mannes ein Bild der Madonna. Wenn er sich bücken würde, könnte man meinen, sie führe.
    Ein wie eine Schildkröte geformter und ähnlich langsamer Fiat cinquecento tuckert an unserem Beobachtungsposten vorbei. Er wird von einem Jungen gelenkt, der auf dem Schoß seines Vaters balanciert. Ein Radfahrer mit einer Küchenspüle auf dem Gepäckträger und einem S-förmigen Abflussrohr um den Hals wird von einem Vespafahrer mit nacktem Oberkörper überholt. Er sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen im Damensitz auf dem Sattel und hat eine Zigarette zwischen seinen Lippen. Noch eine Ape kommt aus einer Seitenstraße und hält an der Kreuzung, wo sie von einer Gruppe Kinder überfallen wird, die Tomaten von der Ladefläche klauen. Als er die Diebe im Seitenspiegel entdeckt, springt der Bauer aus seiner Kabine und ruft: » Disgraziati! «, während die kleinen Füße davoneilen.
    Ein Junge radelt vorbei, eine Mundharmonika zwischen den Lippen. Er tritt wie wild in die Pedale und entlockt ihr mit jedem Atemzug neue dissonante Klänge. Ein weißhaariger Mann fährt vorbei, quer über seiner Lenkstange liegt ein Besenstiel, an dessen Enden je ein Eimer baumelt. Aus seinem Mund ragt ein Büschel Minze, an dem er kaut, wobei seine Kiefermuskeln beschäftigter sind als seine Beine.
    Ein Junge in einer engen Badehose hüpft die Straße entlang und knackt eine Kokosnuss an der Wand des gegenüberliegenden Hauses. Mit nichts als einem Handtuch um die Hüften kommt schließlich sein Bewohner heraus, um nachzusehen, wer da wohl geklopft hat. Als er niemanden entdecken kann, sucht er die Straße ein, zwei Mal ab, kratzt sich am Kopf und kehrt wieder ins Haus zurück.
    Ein Afrikaner schlurft in abgelaufenen Sandalen die Straße entlang und schiebt einen klapprigen Wagen mit allem möglichen Krimskrams von Autofußmatten bis hin zu Taschenrechnern vor sich her. Er wohnt am Stadtrand, sagt Daniela, und schafft es mit seinem bestimmt sehr mageren Einkommen, eine fünfköpfige Familie zu ernähren.
    Eine bucklige alte Frau biegt um die Ecke und schaut zu uns her, sie zittert leicht und humpelt deutlich. Laut Daniela ist sie nicht ganz bei Verstand und läuft ziellos mit gesenktem Blick durch Andrano. Ihr Gesicht versteckt sie hinter einem Schal, und ich sehe es in der Tat erst, als sie den Kopf hebt und ausspuckt.
    In dem verzweifelten Versuch, frische Luft zu schnappen und der Hitze im Haus zu entkommen, stellen zwei Frauen Plastikstühle auf das, was ihre Veranda wäre, wenn die Straße nicht direkt vor ihrer Haustür vorbeiführen würde. Ihre Türmatte weist mehr Reifenspuren
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