Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Titel: Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)
Autoren: P. J. Tracy
Vom Netzwerk:
breitkrempiger Sonnenhut, und die hochhackigen Riemchensandalen klapperten melodisch über die Schieferplatten des Aufgangs.
    Wer jemals bezweifelt hätte, was für eine Intelligenzbestie Charlie eigentlich war, brauchte nur die gewaltige Zurückhaltung zu beobachten, die er sich jedes Mal auferlegte, wenn er Annie begrüßte. Der Überschwang lief ihm in Wellen durch den ganzen Körper, doch trotzdem blieb er fünf Zentimeter vor ihr stehen, die Augen auf ihren erhobenen Zeigefinger gerichtet. «Respekt vor dem Outfit», rief sie ihm in Erinnerung, dann bückte sie sich und hielt ihm bereitwillig die Wange hin, die er gebührend abschleckte. Von Respekt vor dem Gesicht war schließlich nie die Rede gewesen.
    Grace lächelte Annie an. «Gatsby in Reinkultur. Gefällt mir.»
    «Du weißt ja, die dicke Annie lebt nur für Krocket und Champagner, auch wenn mich bei dieser Hitze keine zehn Pferde auf eine Wiese bekämen. Los, gehen wir rein, bevor ich noch zur Fettbrühe werde.»
    In Annies Augen war der neogotische Baustil ausgesprochen unzivilisiert und ein wenig abstoßend, doch aus ebendiesem Grund passte er perfekt zu Harley Davidson. Die barocken Möbel, die er bevorzugte, waren ebenso ausladend wie sein Körperbau und seine Persönlichkeit; Annie erinnerten sie jedoch schlicht und einfach an Frankenstein.
    Harley stand vor seinem achtflammigen Herd in der Küche, schüttete mit der einen Hand Chili aus der Dose in einen Kochtopf und hielt in der anderen eine Flasche Bier. Charlie stand sofort neben ihm; er witterte die warmen Frühstückswürstchen in der Pfanne. «Extra für dich, Junge.» Harley warf ein Würstchen in die Luft, und Charlie stellte sich auf die Hinterbeine, um es aufzufangen.
    Grace stand am Frühstückstresen, das Kinn in die Hand gestützt, und betrachtete die beiden. Das eigentlich Bemerkenswerte an ihrem Streuner war, was er einem über die Menschen offenbarte, mit denen er zu tun hatte. Harley beispielsweise schien sich seines großen persönlichen Wertes gar nicht bewusst zu sein und erkaufte sich Zuneigung schamlos. Was bei Charlie auch problemlos funktionierte: ein Würstchen, und er war auf ewig treu ergeben. «Wo steckt denn Roadrunner?», fragte sie.
    «Unter der Dusche. Er hat heute früh beim Herradeln einen neuen Geschwindigkeitsrekord gebrochen. Ich musste ihn erst mal auswringen, bevor ich ihn überhaupt ins Haus lassen konnte.»
    Annie warf einen Blick auf die Masse im Kochtopf und stützte dann die Hände in die gut gepolsterten Hüften. «Den Mist da isst doch sowieso kein Mensch. Und wieso trinkst du schon um acht Uhr morgens?»
    «Rein technisch ist es gar nicht Morgen, weil ich heute Nacht nämlich kein Auge zugemacht habe. Es ist einfach eine Fortsetzung der Finsternis, nur eben im Hellen.»
    Grace sah ihn lächelnd an. «Das geht dir ganz schön an die Nieren, was?»
    «Das kannst du laut sagen, dass mir das an die Nieren geht. Wir werden für Gott weiß wie lange einen FBI-Fuzzi im Haus haben, der uns über die Schulter glotzt und jeden Schritt beobachtet, den wir machen.»
    «Na und?»
    «Na und? Na und ?! Bist du noch zu retten? Wir brechen bei der Arbeit täglich an die hundert Bundesgesetze. Wir knacken geschützte Websites – verdammt, wir haben uns doch sogar schon beim FBI reingehackt, als wär’s unser eigenes E-Mail-Konto. Die warten, bis sie die Software haben, die sie von uns brauchen, und dann wandern wir für die nächsten hundert Jahre in den Knast. Mein Gott, wir schlagen diese Typen doch seit zehn Jahren grün und blau. Die hassen uns. Und was machen sie? Fragen lieb an, ob wir ihr beschissenes trojanisches Pferd nicht in unser Büro lassen wollen. Und wir öffnen ihnen Tür und Tor.»
    «Redet ihr über John Smith?» Roadrunner kam in seinem üblichen Rennradtrikot und mit eingezogenem Kopf durch die andere Küchentür herein. Obwohl das Haus sehr großzügig gebaut war, stieß er mit seinen knapp zwei Metern doch fast an jeden Türsturz. «Morgen, Grace, morgen, Annie. Ihr dürft wohl gerade die Hundert-Jahre-Knast-Predigt genießen.»
    Harley musterte ihn finster. «Sehr witzig, Pappnase. Und ich hoffe für dich, dass das nicht dasselbe Trikot ist, das du anhattest, als du hier angekommen bist. Ich habe die Sessel eben erst neu beziehen lassen, damit sie zu den Koi-Karpfen passen.»
    «Für wen hältst du mich? Das verschwitzte Trikot liegt unter deinem Bett. Und deine Koi-Karpfen sind eh alle tot.»
    Annies herzförmiger Mund hatte sich zu einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher