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Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)

Titel: Sieh mir beim Sterben zu (German Edition)
Autoren: P. J. Tracy
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Diktiergerät, das sie vor ihn auf den Tisch legte. «Ich weiß ja nicht, ob ich auf nüchternen Magen einen von Wild Jims Monologen verkrafte.»
    «Er hat sein Gespräch mit dem Mörder gestern aufgezeichnet.»
    Als das Band zu Ende war, hatte Magozzi einen halben Joghurt gegessen, der scheußlich war, dazu zwei Bissen von dem Müsli, das aussah wie Hasenköttel und auch in etwa so schmeckte, und trank nun in großen Schlucken den Orangensaft, um das alles hinunterzuspülen. «Die Hälfte dieses Bands ist nur alkoholisierter Blödsinn. Alan Sommers hat seinen Sohn nicht umgebracht. Der hat Selbstmord begangen, wahrscheinlich, weil er seinen Vater noch ein bisschen besser kannte als wir und ihn nicht mehr ertragen hat.»
    Grace musterte ihn einen Augenblick. «Alan Sommers hat den Sohn des Richters mit HIV infiziert. Jessie hat sich in dem Moment erschossen, als die Krankheit bei ihm ausbrach.»
    Magozzi schloss die Augen.
    «Sommers selbst ging es durch die Medikamente anscheinend blendend, doch es sind noch sieben weitere Partner von ihm gestorben, sowohl vor als auch nach dem Zeitpunkt, zu dem er Jessie mit seinem kleinen Präsent bedacht hat. Der Richter hielt ihn für eine Art Massenmörder, und zwar einen, den man nicht als solchen anklagen kann.»
    «Woher weißt du das bloß alles?»
    «Er hat täglich Tagebuch auf seinem Computer geführt. So ein schlechter Mensch war er gar nicht, Magozzi. Seit einem Jahr hat er sich jeden Abend mit dem Gewehr ans Flussufer gesetzt, um Alan Sommers umzubringen, aber er hat es einfach nicht über sich gebracht.»
    Magozzi schob seinen Stuhl zurück und ging zur Kaffeemaschine. «Dann hat er also Alan auf seine Abschussliste gesetzt und die Drecksarbeit von jemand anderem erledigen lassen. Das ist trotzdem noch Mord. Fall bloß nicht rein auf diese Selbstmitleids-Litanei, Grace. Und vergiss auch nicht, dass noch sechs andere auf der Liste standen.»
    Grace hielt ihm ihren Becher hin, damit er sich beschäftigt fühlen konnte. «Er hatte keine Ahnung, dass in diesem Chat-Forum echte Mörder unterwegs sind. Er dachte, das sind ein paar verdrehte, jugendliche Prahlhänse, die einen auf harter Bursche machen wollen. In gewisser Weise hat er sich über sie lustig gemacht, ihnen einen Spiegel vorgehalten, um ihnen zu zeigen, was für Versager sie sind. Er hat sie provoziert mit einer Liste von Leuten, die ihm seit Jahren verhasst waren, weil sie für grauenvolle Verbrechen zu leichte oder gar keine Strafen bekommen haben. In allen Fällen war er entweder als Ankläger oder als zuständiger Richter beteiligt, und er hat es kaum ausgehalten, dass das Rechtssystem, in das er so viel Vertrauen setzte, ständig versagte.»
    «Trotzdem war es Mord», brummte Magozzi und weigerte sich fast eine geschlagene Sekunde lang, Grace anzusehen.
    «Das war keine Abschussliste, Magozzi. Es war eine Liste verhasster Personen, die ein verzweifelter, zorniger Säufer ins Netz gestellt hat.»
    «Wir hätten diese Verbindung doch in den Akten der Opfer finden müssen.»
    «Habt ihr die Prozessmitschriften gelesen?»
    «Prozessmitschriften befinden sich immer ganz am Ende, und diese Unterlagen umfassen jeweils mehrere hundert Seiten. Bevor wir so weit waren, kam die Sache mit den Kartons dazwischen. Aber wir hätten natürlich damit anfangen sollen. Ich hätte es ahnen müssen, verdammt.»
    Grace machte sich daran, den Tisch abzuräumen. «Das hätte auch nichts mehr geändert, Magozzi. Die Morde waren alle schon geschehen.»
    «Nicht alle.»
    Sie blieb mit der Müslischüssel in der Hand auf halbem Weg zur Spüle stehen. «Du mochtest ihn», sagte sie, ohne sich umzudrehen.
    «Nein, ich mochte ihn nicht. Aber das Müsli mochte ich. Gib’s wieder her.»
    Grace stellte seine Müslischale in die Spüle, und dann tat sie etwas sehr Seltsames. Sie kam zu ihm, bückte sich und küsste ihn auf die Wange. Es war kein leidenschaftlicher Kuss, auch kein mitleidiger, einfach nur ein Körperkontakt. Und eigentlich hätte Magozzi sich dadurch nicht besser fühlen dürfen, doch genau das geschah. «Ich muss dir etwas sagen, Magozzi.»
    Später stand er auf den Stufen vor ihrem Haus, die Hände in den Hosentaschen, und dachte, wie seltsam es doch war, dass er gar nicht darauf reagierte. Schon komisch. Da wartete man eine halbe Ewigkeit darauf, dass Dinge sich änderten, dass Menschen sich änderten. Man arbeitete keineswegs daran; man hoffte einfach nur und wartete und erlaubte sich nur ganz im Geheimen den Gedanken,
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