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Sieben Erzaehlungen

Titel: Sieben Erzaehlungen
Autoren: Dino Buzzati
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Gesetzen. und doch erschien es unmöglich, daß niemand der ungeheuren Stimme des Drachen geantwortet hatte. Andronico wünschte, ebenso wie seine Gattin und die Jäger, nichts anderes, als zu fliehen, sogar die Naturwissenschaftler verzichteten auf ihre Einbalsamierungsabsichten, nur um schnell wegzukommen.
    Die Männer des Dorfes waren verschwunden, wie wenn die Vorahnung eines Fluches sie vertrieben hätte. Schatten senkten sich auf die brüchigen Felsen herab. Vom Körper des Drachen, jetzt ein pergamentartig vertrockneter Kadaver, erhoben sich ununterbrochen die beiden Rauchfaden, die sich in der unbewegten Luft langsam umschlangen. Alles schien beendet, eine traurige Sache, die man zu vergessen hatte, nichts anderes. Aber der Graf fuhr fort zu husten und zu husten. Erschöpft saß er auf einem großen Felsen neben den Freunden, die nicht wagten, mit ihm zu sprechen. Auch Maria, sonst so furchtlos, sah zur Seite. Man hörte nur diese kurzen Hustenstöße. Vergeblich suchte Martino Gerol sich zu beherrschen, eine Art von Feuer brannte, immer tiefer eindringend, im Innern seiner Brust.
    „Ich hab’s gefühlt“, flüsterte der Gouverneur Andronico seiner Frau zu, die ein wenig zitterte, „ich hab’s gefühlt, daß es böse enden würde.“

DIE  HEILIGEN
    Jeder der Heiligen hat sein kleines Haus am Strande, mit einem Balkon, der auf das Meer hinausschaut, und dieses Meer ist Gott. Im Sommer, wenn es heiß ist, erfrischen sie sich in den kühlen Wassern, und diese Wasser sind Gott. Bei der Nachricht, daß ein neuer Heiliger nahe, wird sofort ein neues Haus an der Seite der anderen gebaut, die so eine sehr lange Reihe bilden, die sich längs des Meeresufers hinzieht. An Raum mangelt es gewiß nicht.
    Auch San Gancillo, als er nach seiner Ernennung an dem Ort anlangte, fand sein Häuschen, das wie die anderen gebaut war, fertig vor, mit Möbeln, Wasche, Geschirr, einigen guten Büchern und allem, was dazu gehört. Da gab es sogar, an der Wand aufgehängt, einen hübschen Fliegenwedel, denn in der Gegend lebten ziemlich viele Fliegen, wenn sie auch nicht gerade lästig waren. Gancillo war kein ruhmreicher Heiliger, er hatte dürftig als Bauer gelebt, und erst nach seinem Tode war sich der eine oder andere zurückdenkend der Gnade bewußt geworden, die diesen Menschen erfüllte und ihm im Umkreise von wenigstens drei, vier Metern entstrahlte. Und der Pfarrer, ohne allzu viel Vertrauen in die Wahrheit, hatte die ersten Schritte zum Verfahren der Seligsprechung getan. Seither waren fast zweihundert Jahre vergangen.
    Aber im tiefen Schöße der Kirche, Schrittchen für Schritt-chen, ohne Eile, war das Verfahren weiter gegangen. Bischöfe und Päpste starben einer nach dem anderen, und andere kamen, trotzdem wanderte die Akte Gancillo fast von selbst von einem Amt zum anderen, immer höher und höher. Ein Hauch von Gnade war geheimnisvoll jenem längst vergilbten Aktenbündel angeheftet geblieben, und kein Prälat, der ihn, wenn er es durchblätterte, nicht wahrgenommen hätte. Das erklärt, warum die Sache nicht fallengelassen wurde. Bis endlich eines Morgens das
    Bildnis des Bauern in einem goldenen Heiligenschein in höchster Höhe der Kuppel der Peterskirche gehißt wurde und unten der Heilige Vater persönlich den Ruhmespsalm anstimmte, der Gancillo zur Majestät der Altäre erhob. In seinem Dorfe wurden große Feste veranstaltet, und ein Student der Lokalgeschichte glaubte das Haus zu identifizieren, in dem Gancillo geboren war und bis zu seinem Ende gelebt hatte, und das Haus wurde zu einer Art bäuerlichen Museums umgewandelt. Aber da niemand mehr sich seiner erinnerte und alle Verwandten gestorben waren, dauerte die Volkstümlichkeit des neuen Heiligen nur wenige Tage. Seit undenkbaren Zeiten wurde in diesem Dorfe als Patron ein anderer Heiliger verehrt, Marcolino, und um seine Statue zu küssen, die wundertätigen Ruf hatte, kamen Pilger aus entfernten Gegenden. Gerade neben der prächtigen Nische das San Marcolino, vollgepropft mit Votivtafeln und Lichtern, wurde der neue Altar des Gancillo errichtet. Aber wer beachtete ihn? Wer kniete vor ihm nieder, um zu beten? Er war eine so blasse Gestalt, nach zweihundert Jahren. Er hatte nichts, an dem die Einbildungskraft sich hätte entzünden können.
    Wie auch immer, Gancillo, der nie eine solche Ehre erträumt hatte, ließ sich in seinem kleine Hause nieder und, in der Sonne auf dem Balkon sitzend, betrachtete er in Glückseligkeit den ozean, der in ruhiger
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