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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch'
Autoren: Lena Gorelik
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anderen damit keinen Schaden zufügt. Dieses Recht hat man, egal, woher man stammt, wie man aussieht oder welche Sprache man von seinen Eltern gelernt hat. Sollte dem nicht so sein, definiert sich eine Gesellschaft also unter anderem über die Ausgrenzung Einzelner, zumal anhand rein äußerlicher Kriterien, kann man nicht mehr guten Gewissens von einer Demokratie sprechen. Auch manchen aufgrund solcher Kriterien den Zugang zu politischer Teilnahme, den Zugang zum Arbeitsmarkt oder zum Bildungssystem zu erschweren, ist einer Demokratie nicht würdig.
    Wir bräuchten eine Leitkultur, eine, an der sich Migranten ausrichten, nach der sie sich richten können, eine, die schlimmstenfalls »die einzig richtige« ist, hat man in den zahlreichen Integrationsdebatten der vergangenen Jahre immer wieder gehört. Auch dies ist demokratiewidrig, denn eine Demokratie wird von vielen beeinflusst, in einer Demokratie werden Entscheidungen von vielen gefällt. Eine Demokratie wird damit auch von vielen (Denk-)Kulturen geprägt. Von der einfachen, tatsächlichen Unmöglichkeit abgesehen, eine Leitkultur für ein ganzes Land, für eine ganze Demokratie festzusetzen – und wer sollte das machen? Und wenn es jemanden gibt, der für sich beansprucht, für alle anderen in diesem Land eine
Leitkultur einzugrenzen, zu bestimmen, kann man dann noch von Demokratie sprechen? Eine Leitkultur ist eine Monokultur. Immer und überall dasselbe. Es ist, als flöge man über Deutschland hinweg und sähe statt der Städte, statt der unterschiedlich bepflanzten Felder, statt der Seen, Gebirge, Flüsse, kleinen Dörfer, Wälder nur noch eins: die Leitkultur, welcher Farbe oder Beschaffenheit sie nun auch haben mag. Ich würde mit meinem Flugzeug nicht in einem solchen Deutschland landen wollen. Und wer sich dennoch nach einer Leitkultur sehnt, der solle sich nach der Leitkultur der Demokratie richten und sich – im Gedenken an die deutsche Geschichte und Kultur – an den Preußenkönig Friedrich den Großen erinnern, der sagte: »Jeder nach seiner Fasson.«

Deutschland morgen: Ohne Integration
    Was man von den Zuwanderern erwartet? Ist doch klar: Integration! Integration, wie oft hören wir diesen Begriff in Diskussionen, lesen ihn in den Medien? Er ist inflationär geworden, bevor wir klären konnten, ob wir denn alle dasselbe meinen, wenn wir ihn verwenden. Das wage ich nämlich zu bezweifeln. Der vom lateinischen »integratio« abgeleitete Begriff bedeutet eigentlich die Eingliederung, den Einbezug in ein größeres Ganzes. Diese wortwörtliche Übersetzung spiegelt die Zweiseitigkeit des Prozesses: Man kann versuchen, sich selbst einzugliedern, man braucht aber jemanden, der einen einbezieht. Sich selbst einzugliedern, ohne von anderen einbezogen zu werden, ist schwer.
    Ich beobachtete den Sohn von Freunden am Rand eines Fußballplatzes, der neidisch ihm fremden Jungs dabei zuschaute, wie sie Fußball spielten. »Magst du nicht fragen, ob du mitspielen kannst?«, wollte ich wissen. »Ich mag nicht fragen«, antwortete das Kind. »Warum denn nicht?«, bohrte ich nach, wie Erwachsenen es nun einmal tun. »Was, wenn ich sie frage und sie mich trotzdem nicht mitspielen lassen?«, antwortete er, und mir fiel außer Platitüden nichts ein, womit ich ihm seine Angst hätte nehmen können. Weil auch ich diese Angst kenne. Integration bedeutet, dass beide Seiten bereit füreinander sind. Sich einzugliedern, andere einzubeziehen. Erst einmal miteinander zu kommunizieren, sich miteinander auseinanderzusetzen, sich kennenzulernen und sich anzunähern, Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede erst festzustellen und dann zu akzeptieren. Kompromisse zu finden. Es ist ein
bisschen wie in der Familie, wo Integration tagtäglich aufs Neue stattfindet. Man mag nicht jede Eigenart der anderen Familienmitglieder, aber man akzeptiert sie, so wie sie sind, und ärgert man sich doch, verfliegt der Ärger normalerweise schnell; man findet Kompromisse, man kommt miteinander aus, lebt zusammen, weil man trotz der Unterschiede, trotz der Reibereien, trotz verschiedener Angewohnheiten eine Familie ist. Das ist Integration.
    Aber ist tatsächlich davon die Rede, wenn von Menschen mit Migrationshintergrund und ihrer Integration in dieses Land gesprochen wird? Verhält man sich wie eine große Familie, zu der jeder sowohl mit seinen positiven Eigenschaften als auch mit seinen Schwächen und Fehlern dazugehört? Lebt man so zusammen, arrangiert man sich so, als ob alle Teil
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