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Sie bauten eine Kathedrale

Sie bauten eine Kathedrale

Titel: Sie bauten eine Kathedrale
Autoren: David Macaulay
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1281, achtundzwanzig Jahre nach
Baubeginn, wurde der Bischof nach einem feierlichen Requiem in der alten Krypta
beigesetzt. Am einundzwanzigsten September wurde der neue Bischof von
Chutreaux, Roland von Clermont, in sein Amt eingesetzt.
    Bald nach Wiederaufnahme der Arbeit
wurden die Strebebogen im Chor fertiggestellt, und die Lehrgerüste wurden
aufgerichtet, um die ersten Steine für die Einwölbung aufzunehmen.

     
     
    Die für die Rippen bestimmten Steine,
Wölbsteine genannt, wurden nun, einer nach dem anderen, auf die Lehrgerüste
gelegt und jeder an seinem richtigen Platz von den Maurern eingefügt. Als
letzter wurde der Schlußstein, ein mächtiger kreuzförmiger Stein, eingesetzt,
der die Rippen im Scheitel, dem höchsten Punkt des Gewölbes, zusammenhält.
     

     
     
    Als nächstes verkleideten die
Zimmerleute den Raum zwischen zwei Lehrgerüsten mit Brettern. Auf die
Verschalung legten sie eine Steinschicht, die bis zur Härtung des Mörtels von
ihr getragen wurde. Man formte die Gewölbeschale aus leichtem Stein, um die
Rippen möglichst wenig zu belasten. Zwei Handwerkergruppen —  zu jeder gehörte
ein Maurer und ein Zimmermann —  arbeiteten gleichzeitig von beiden Seiten
eines Gewölbes aufeinander zu. Sie brachten zuerst die Verschalung an und
versahen sie dann mit dem Steinbelag. Das Gewölbe war fertig, wenn sie sich in
der Mitte getroffen hatten. Auf die gleiche Weise und zur gleichen Zeit wurde
über den Seitenschiffen die Einwölbung vorgenommen.
     

    Um Risse zu verhüten, strich man
zuletzt noch eine vier Zoll dicke Gußmörtelschicht über die Steine und den
getrockneten Mörtel. Erst jetzt, nachdem auch das Gußmaterial hart geworden
war, entfernte man die Verschalung und zog die Lehrgerüste zum nächsten Joch
hinüber. Dieses Verfahren setzte man so lange fort, bis schließlich der ganze
Chor eingewölbt war.

     
     
    Am Feiertag des ersten Mai 1302, als
das Querschiff mitsamt seinem Gewölbe schon zum größten Teil fertiggestellt
war, ruhte die Arbeit wie eh und je an diesem Tag. Die Bevölkerung nahm am
Maigottesdienst teil und erfreute sich am Jahrmarkt auf dem Kirchplatz.

     
     
     
     
    Die Glasbläser hatten inzwischen mit
der Herstellung der farbenprächtigen Scheiben für die großen Fenster begonnen.
Holzasche wurde mit gewaschenem Sand bei hoher Temperatur zu Glasfluß
geschmolzen, bevor man verschiedene Metalle für die Farbgebung zusetzte. Dann
nahm der Glasbläser einen Klumpen der dickflüssigen Masse auf den Kopf seiner
Hohlpfeife und blies ihn zu einem Hohlkörper auf. Durch rasches Hin- und
Herdrehen der Pfeife nahm dieser walzenförmige Gestalt an. Diese Form wurde nun
abgeschlagen, an ihren Enden begradigt und der Länge nach aufgeschnitten. Nach
abermaliger Erhitzung wurde das Glas zu Platten ausgewalzt.
    Mit einem scharfkantigen Metallstab
schnitt man die Glastafeln auf die richtige Fenstergröße zu. Die Fensterform
wurde mit Kreide auf einer Werkbank vorgezeichnet und das Glas einfach
daraufgelegt. Wenn genügend Glasstücke zugeschnitten waren, wurden sie durch
Bleistege miteinander verbunden. Die einzelnen Stücke waren selten größer als
acht Zoll im Quadrat, aber mit Hilfe der Bleistege ließen sich Quadrate bis zu
dreißig Zoll zusammensetzen. Eiserne Verstrebungen und steinerne Pfosten
hielten diese großen Stücke so zusammen, daß die Fenster eine Höhe von sechzig
Fuß erreichten.

     

     
     
    Während die Fenster eingesetzt wurden,
bestrichen die Gipser das Gewölbe mit Gips und zeichneten rote Linien darauf,
die den Eindruck von der einheitlichen Größe aller Steine erwecken sollten. Die
Arbeit der Steinmetzen und Bildhauer an Profilen und Kapitellen ging nun ihrem
Ende entgegen. Der Fußboden wurde mit verschiedenfarbigen Platten belegt, die
ein kunstvoll verschlungenes Labyrinth bildeten. Der Gläubige, der den Weg zum
Mittelpunkt des Labyrinths fand, fühlte sich der Gnade Gottes teilhaftig wie
ein Pilger, der sich von weither anschickte, die große Wallfahrt zu einer
Kathedrale wie Chutreaux zu unternehmen.
     
     
    Im Jahr 1306 mußten die Arbeiten erneut
unterbrochen werden, weil dem Domkapitel das Geld ausgegangen war. Um die
weitere Finanzierung zu sichern, hielt man es für das beste, die Reliquien des
heiligen Germain auszustellen. Aus Nordfrankreich und Südengland durfte man
genügend neugierige und spendenbereite Besucher erwarten. Fünf Jahre lang
wurden die Reliquien gezeigt, bis das erforderliche Geld beisammen war, und
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