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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K.
Autoren: Ein fatales Erbe
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Sieger. Er wird nicht mehr mitbekommen, wie Monika, das polnische Serviermädchen,
sich vierzig Minuten später schreiend bekreuzigt, er wird nicht mehr die
betroffene Miene des Duty Managers sehen, der ihn anstarrt, während er Monikas
Bericht lauscht. Was sie am meisten erschreckt habe, wiederholt sie weinend
immer wieder, sei die seltsame Grimasse des jungen Mannes gewesen. Sie habe wie
ein Lächeln ausgesehen!
    Um zehn Uhr trifft die Prozession des Präsidenten am
Eingang von Downing Street ein. Nach dem Fototermin und dem Appell der
Ehrengarde ziehen sich die beiden Staatsmänner und ihre Privatsekretäre nach
oben in den Green Room zu vertraulichen Gesprächen zurück, die statt der
geplanten fünfundvierzig Minuten ganze siebenundfünfzig Minuten dauern.
    Der große Zeiger der Uhr auf dem Kaminsims im Green Room
rückt langsam gegen elf. Die offizielle Agenda ist erledigt, das Protokoll
lässt noch fünf Minuten für die offiziellen Abschiedsfloskeln. Punkt sieben
jedoch ist noch nicht abgehakt. Über Sonstiges wurde
noch nicht gesprochen.
    Der Premierminister sieht den Präsidenten an. »Ich denke,
wir sind mit allem durch.«
    »Mit fast allem«, erwidert der Präsident und dreht sich
nach seinem Privatsekretär um. »Wo ist das Geschenk? Ich werde es persönlich
überreichen.«
    Zwei Privatsekretäre beäugen sich nervös. Keiner von ihnen
schätzt Überraschungen.
    »Verzeihen Sie diesen Bruch des Protokolls«, beginnt der
Präsident, »aber ich habe das Gefühl, dass ich Ihnen dieses Geschenk
persönlich überreichen sollte, aus ganzem Herzen!« Er wickelt eine geschnitzte
Holzschatulle aus.
    »Dieses Jahr fallen ja das anglikanische und das
ukrainisch-orthodoxe Osterfest zusammen - beide werden kommenden Sonntag
gefeiert«, fährt der Präsident fort, als er dem Premierminister die Schatulle
überreicht.
    Mit der Miene höflicher Erwartung überwindet sich der
Premierminister, die Schatulle zu öffnen. Er unterdrückt einen Seufzer der
Erleichterung und betrachtet eingehend das buntbemalte hölzerne Osterei.
    »Das ist eine pisanka - ein
traditionelles ukrainisches Osterei«, erklärt der Präsident. »Die Kinder
verzieren diese Eier vor Ostern gemeinsam mit ihren Eltern, und zwar nicht mit
Farben, sondern mit Bienenwachs. All die Muster und Farben sind symbolisch.
Grün zum Beispiel ist die Farbe der Gesundheit, Gold ist die Farbe der
Weisheit. Dieses Ei wurde in einem Waisenhaus verziert, nicht weit von meinem
Heimatdorf entfernt. Wir lassen unseren unterprivilegierten Kindern viel Hilfe
zukommen, doch der Staatshaushalt erlaubt es uns leider nicht, noch ...«
    ... welch elegante Überleitung, denkt der Premierminister.
Es ist nicht schwer zu erraten, was als Nächstes kommt. Er hat mir ein Geschenk
überreicht. Jetzt wird er die Bombe platzen lassen. »... aber wir bleiben dran«,
fährt der Präsident fort. »Was nun den legendären Kosakenschatz betrifft ...«
    Jeder der beiden Privatsekretäre versucht die Miene des
anderen zu ergründen. Der eine beginnt mit dem Stift auf das dicke grüne
Tischtuch zu trommeln. Der andere starrt aus dem Fenster und holt tief Luft.
    Der Präsident lächelt dünn. »Schade, dass der 12. April -
unser Astronautentag - schon gestern war. Wir hätten nach den Sternen greifen
können!«
    Der Premierminister studiert die Miene des Präsidenten.
Ist es zu früh, erleichtert zu sein?
    »Aber ich werde doch nicht am Freitag, den 13., der
Überbringer einer schlechten Botschaft sein!«, fährt der Präsident fort. »Was
nun den legendären Kosakenschatz betrifft, der vermutlich im Tresor der Bank
of England auf seine Zeit wartet ...«, er hält einen Moment inne, »...
jammerschade, dass er nur eine Legende ist!« Der eine der beiden
Privatsekretäre wirft den Stift auf den Tisch und lehnt sich mit
höflich-routiniertem Lächeln zurück. Der andere lockert ein ganz klein wenig
den Knoten seiner knallroten Krawatte. Dieser Teil des Besuchs, die
schwierigste Begegnung, ist vorbei.
    Die Uhr schlägt zur vollen Stunde.
     
    EPILOG
     
    Edmonton, Canada, Juli 2009
    Heißes und kaltes Wetter vermischen sich in Edmonton
ebenso wenig wie kaltes und heißes Wasser in den Wasserhähnen billiger
englischer Landhotels.
    Der erste Schnee fällt meist Ende Oktober; im Januar kann
es bis zu minus 40 Grad Celsius kalt werden, dennoch
sind die Parks des Flusstals voller Menschen, die rodeln, eislaufen und die
Loipen des ausgedehnten Parksystems der Stadt zum Skilanglauf nutzen. Wenn sich
im
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