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Shane - Das erste Jahr (German Edition)

Shane - Das erste Jahr (German Edition)

Titel: Shane - Das erste Jahr (German Edition)
Autoren: Julia von Rein-Hrubesch
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legte sich über ihren Körper.
    Sie hielt die Luft an. Was auch immer passieren mochte, es würde eine Entscheidung bringen. Große Buchstaben standen in ihrem Kopf, Shane sah sie fast vor sich. Sie wollte sie wegschütteln, doch sie verschwanden nicht.
    Die Schlacht.
    Shane atmete langsam aus.
    Sie wusste, dass sie heute Abend sterben könnte.
     
    Shane blieb stehen, sei bewegte sich keinen Meter vorwärts.
    Sie hatte das Buch durchgelesen. Das Buch, welches einst dem alten Mann gehört hatte, Kurt; und immer noch gehörte.
    Sie hatte ebenfalls angefangen, in dem Buch mit dem schwarzen Ledereinband zu lesen. Vieles verstand sie nicht, doch sie ahnte, dass es das Buch der Augen war.
    Kurt war ein Auge gewesen.
    Sie war ein Auge.
    Kurt war ein Auge gewesen, und das was er getan hatte, hatte ihr vermutlich das Leben gerettet, doch in einem Punkt hatte er unrecht gehabt: Sie waren nicht verdammt dazu, böse zu sein.
    Sie würde hier stehen bleiben. Sie würde hier stehen bleiben und auf sie warten.
    Sie hatte ihnen etwas mitzuteilen, und während sie überlegte, was sie ihnen sagen würde, ob sie überhaupt etwas sagen würde, wurde ihr klar, dass ihre Anwesenheit wohl Mitteilung genug wäre. Sie spürte ihr Kommen ganz deutlich, es war kein so übermächtiges Gefühl wie in den Katakomben, doch sie spürte sie. Sie konnte nicht darüber bestimmen, wer oder was sie war, doch sie konnte sich entscheiden, ob sie gut oder böse war. Sie konnte sich entscheiden, das zu sein, was sie war.
    Sie sollen kommen und mich sehen, hier direkt auf der Straße! Ich werde mich keinen Millimeter bewegen! Ich bin ein Auge, und sie sollen mich sehen! Ich kann entscheiden, ob ich gut oder böse bin.
    Und ich kann entscheiden, wie ich sterben werde.
    Shane hatte sich entschieden, doch es zeigte sich, dass sie gar nicht anders handeln hätte können, in Sekundenschnelle war die Gasse erfüllt von ihnen.
    Hunderte von Jägern, tausende von ihnen schoben sich durch die enge Straße, schoben sich wie eine Masse auf Shane zu, sie kamen ihr immer näher und es wurden von Sekunde zu Sekunde mehr von ihnen.
    Shane riss die Augen auf.
    Die ersten Jäger bogen um die Ecke, suchten sie, jagten sie. Doch sie bewegten sich langsam, viel langsamer als die letzten Male.
    Sie wissen, dass sie dich haben, Shane! Du kannst dich umdrehen und davonrennen, doch selbst, wenn du über die Dächer fliegen würdest, ihre Pfeile würden schneller sein.
    Shane stand einfach da und sah die weiße Masse auf sich zukommen.
    Nun sah sie die Jäger genau, sie sah ihre Gesichter, sie sah ihre Uniformen. Bald waren die ersten nur noch zehn Meter von ihr entfernt, auch sie blieben stehen und blickten sie an. Sie trugen alle weiß, jeder von ihnen.
    Weiße, schwere Stiefel. Quer über ihrer Brust lag ein schmaler weißer Gurt aus Leder, und erst als Shane genauer hinsah, war ihr klar, dass das der Gurt sein musste, an dem der Köcher befestigt war.
    Der Köcher für die Pfeile.
    Das Rauschen wurde leiser, bald hatten sich alle Jäger in der dunklen Gasse gesammelt, die Schlange zog sich bis um die Kurve und in eine der angrenzenden Straßen. Shane blickte in die Gesichter, die ihr am nächsten standen. Es waren gewöhnliche Gesichter, junge, ältere, alte. Auf diesen Gesichtern lag der gleiche Ausdruck: Verwunderung.
     
    Der Mann, den die Jäger als ihren neuen Anführer sahen, der, den sie morgen wählen wollten, schnürte sich die Stiefel zu. Er richtete sich auf und ging langsam zu dem großen Spiegel mit dem Blattgoldrand, der in dem Zimmer in der Kuppel an der Wand hing. Er schaute hinein, und sein Spiegelbild schaute erstaunt zurück.
    Er hatte sich gewehrt gegen diese Uniform, er hatte sie abgelehnt, er fand es unsinnig, dass sie alle gleich aussehen sollten, doch für morgen, für den Tag, an dem sich alles für die Jäger entscheiden würde, an dem Tag, an dem sie ihn als ihren Anführer wählen wollten, hatte er die Uniform gewählt, an diesem Tag wollte er sie anziehen, alles andere würde sich finden.
    Nun sah er sich in dieser Uniform, und es überraschte ihn, wie richtig es ihm auf einmal vorkam, dass er sie trug. Wie richtig es sich anfühlte. Er schaute sich um. Seinen Köcher würde er nicht eintauschen, auf gar keinen Fall, es war auch nur der Gurt, der den Anführer von den anderen Jägern unterschied: Auf ihm war das Bild der Jäger abgebildet.
    Der Mann, der eigentlich noch keiner war, schaute wieder in den Spiegel. Morgen würde es soweit sein: Es
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