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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt
Autoren: Neil MacGregor
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Company, 2010. Königin Gertrude (Penny Downie), Hamlets Mutter, trinkt aus dem Kelch, ohne zu wissen, dass ihr Mann, König Claudius (Patrick Stewart), Gift hineintat, um Hamlet zu töten.
    Heinrichs VIII. Bruch mit Rom in den 1530er Jahren und die sich anschließende Reformation geschahen gewaltsam, blieben aber unvollendet. Nach Heinrichs Tod im Jahr 1547 folgten, unter seinem Sohn Eduard VI., sechs Jahre voller Wirren, Jahre eines fanatischen Protestantismus, und darauf fünf nicht weniger unruhige Jahre eines energisch wieder eingesetzten römischen Katholizismus unter der Regentschaft von Eduards Halbschwester Maria, Tochter von Heinrichs erster Frau, der spanischen Prinzessin Katharina von Aragon. Als dann 1558 Elisabeth den Thron bestieg und den Protestantismus erneut einführte, werden sich viele Menschen gefragt haben, ob ihre Herrschaft und ihre Religion so lange dauern würden, dass es sich lohnte, erneut zu konvertieren.
    In der katholischen Messe trinkt allein der Priester vom Messwein aus dem Kelch. Im neuen protestantischen Gottesdienst war es jedem Gemeindemitglied erlaubt – wo nicht gefordert –, dass er oder sie einen Schluck nahm im Gedenken an Jesu Abschiedsmahl. Für die Menschen der elisabethanischen Zeit stand ein silbernes Gefäß wie dieser Kelch also für einen neuen, die protestantische Gemeinschaft bildenden Brauch – für eine neue, die Gemeinde stärkende Erfahrung; und dies war keine nur religiöse, sondern auch eine soziale und politische Neuerung, eine, an der sich jeder zu beteiligen hatte: Wer aus diesem Kelch trank, bekräftigte nicht nur, dass er oder sie Protestant war, sondern auch ein loyaler Untertan der Königin. Eine Weigerung, aus diesem Kelch zu trinken, hätte böse Folgen haben können.
    Gottesdienstbesuch war Pflicht in Shakespeares Tagen, auferlegt durch ein Gesetz des Parlaments, dessen Nichtbefolgung unter Strafe stand. Insofern betraf jede religiöse Veränderung das Gewebe der gesamten Gesellschaft. Jeder lebte sein Leben in dem durch die Kirche gegebenen Rahmen, doch seit Heinrichs VIII. Bruch mit Rom war dieser zunehmend instabil geworden. Die Generation, die die ersten Hamlet -Aufführungen erlebte, hatte die unwandelbare Sicherheit des Glaubens ihrer Großeltern nie erlebt.
    Shakespeares Leben ist in Holy Trinity in Stratford festgehalten, wo es seinen Anfang nahm und sein Ende fand: Dort, am mittelalterlichen Taufbecken,wurde er getauft; dort wurde er, zweiundfünfzig Jahre später, am 25. April 1616, beerdigt. Der Eintrag im Geburtenregister der Gemeinde hält ihn fest als Gulielmus filius Johannes Shakspere , als Datum den 26. April 1564. Dazu Reverend Martin Gorick, Vikar an der Holy Trinity Church:

    Im Gemeinderegister der Holy Trinity Church steht unter dem 26. April 1564: «Guliemus filius Johannes Shakspere»: William, Sohn des John Shakespeare.
«Das ist jedoch sein Taufdatum, nicht das der Geburt. Das kennen wir nicht genau, wissen aber, dass die Menschen ihre Kinder damals so rasch wie möglich nach der Geburt taufen ließen. So wird auch Shakespeare im Alter von gerade ein paar Tagen getauft worden sein. Es war allerdings kein guter Zeitpunkt, um in Stratford geboren zu werden. Ein Eintrag vom 11. Juli lautet: «Hier beginnt die Pest.» Und dann begann das Sterben: Ein Toter am 20., zwei am 24., drei am 26. Innerhalb weniger Tage im Juli sind zwei Kinder einer Familie an der Pest gestorben. So blieb es bis zum Ende des Jahres – und das in einer Stadt mit damals nur 3000 Einwohnern. Man muss sich das vorstellen, Woche um Woche bleibt es bei diesen Zahlen, jeder Tod ein großer Erdhügel auf dem Friedhof. Dramatische Zeiten.»
    Shakespeare hatte Glück und überlebte. Von den acht Kindern, die in seiner Familie geboren wurden, erreichten fünf das Erwachsenenalter, William war der älteste von ihnen.
    Shakespeare wurde in einer eindeutig protestantischen Kirche getauft, um ihn herum aber gab es noch viele Spuren des alten katholischen Glaubens, und dazu viel Besorgnis darüber, dass die katholische Vergangenheit noch gefährlich greifbar war. In den Deckel des Stratford-Kelchs ist die Jahreszahl 1571 eingraviert, ein hoch bedeutsames Datum, denn nur ein Jahr zuvor hatte der Papst die Königin exkommuniziert und die englischen Christen damit von ihrer Gehorsamspflicht entbunden. Es war ein brisanter, provokativer Schachzug seitens des Papstes – ein stark polarisierendes Moment im Kampf zwischen Katholiken und Protestanten in
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