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Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Titel: Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Autoren: Mark Benecke
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beschlossen hatte, keine Forscher in die DDR zu entsenden, um das kleine Land zu schwächen . Denn dass Otto Prokop den Posten als Leiter der Institute für Rechtsmedizin in Ostberlin sowie anfangs auch in Leipzig und Halle (1958–1961) angenommen hatte, habe das ostdeutsche System gestützt. Und das sei gegen die westlichen Spielregeln gewesen.
    Ob der Professor mit dem österreichischen Ausweis sich an solche Regeln halten musste, und wer sie als verbindlich festgelegt hatte, fragte auf der Versammlung niemand. Denn eines war Otto Prokop ganz bestimmt nicht: Sozialist oder gar »Leninist«, wie es in den 50er Jahren in einer leicht panischen Anfrage an seinen alten Chef hieß. Ganz im Gegenteil. Prokop ließ seit seiner Jugend verschiedene Denkschulen respektvoll nebeneinander stehen. In Österreich erlebte er als Jugendlicher, wie »der kommunistische Bürgermeister mit dem katholischen Pfarrer gemeinsam am Tisch saß«, man sich offen die Meinung sagte und dazu »ein Gläschen österreichischen Wein trank«. Ganz anders erschienen ihm da die von ihm auch so benannten Preußen: »Unduldsam« fand Prokop sie, und das war abwertend gemeint.
    Prokop arrangierte sich als Professor zwar mit Menschen und Strukturen, aber er sympathisierte nie mit politischen Bewegungen. Dazu war er viel zu misstrauisch. Nach dem Krieg hat er nie mehr eine Partei oder Ideologie offen unterstützt. Der Sozialismus als solcher interessierte ihn nicht. Prokop wollte forschen, er war ehrgeizig, und er nutzte die Chance, diese beiden Lebensinhalte mit Wucht und Verve in Ostberlin umzusetzen.
    2006 erhielt Prokop die Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin übrigens doch noch. Das Gezerre darum hat ihn aber tief getroffen. Er trug die Auszeichnung nicht in seine sonst akribisch geführte Liste von Ehrungen ein.
    Am schlimmsten war für ihn dabei wohl, dass viele der bei der ersten Verbandssitzung Anwesenden nicht einmal wussten, wer er überhaupt war. Doch das verstand ich erst viel später. Während der Sitzung fragte ich mich nur, ob ein Rückstand des Kalten Krieges die Köpfe verstopfte oder es um Verfehlungen, Verschwörungen und Verfeindungen ging, die in eine mir unbekannte Liga gehörten.
    Wie sich zeigte, war die Ablehnung der Ehrenmitgliedschaft unter anderem ein Reflex der 68er gewesen, die sich endlich saubere Biografien ihrer Chefs und Vorgänger wünschten. Zu viele der bedeutenden deutschsprachigen Rechtsmediziner waren knallharte Nazis gewesen. Man wollte nun endlich auf der Seite der Guten stehen.

    Prokops Lebenslauf, wie ihn jeder Fragende zu sehen bekam. 1998 ergänzte Prokop mit seiner elektrischen Schreibmaschine noch die Gedenkmedaille aus Österreich. Die erst 2006 nachgereichte Ehrung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin trug er nicht mehr ein.
    Man beachte, dass Prokop auch nach dem Mauerfall keinen Hehl aus den Belobigungen und Preisen machte, die er von sozialistischer Seite erhielt. Für ihn hatten diese Ehrungen nichts mit dem politischen System oder gesellschaftlichen Grundeinstellungen zu tun. Er sah darin einfach die Anerkennung seiner wissenschaftlichen Arbeit.
    Der lähmende Widerstand gegen meine Nachforschungen für dieses Buch kam nicht nur aus der Wissenschaft. Selbst ein enger Angehöriger von Otto Prokop weigerte sich, einen inhaltlich frei bestimmbaren Beitrag, der auch unbearbeitet geblieben wäre, zum Buch beizusteuern. Das ist umso verwirrender, als Otto Prokop seine Biografie zu diesem Zeitpunkt schon längst geschrieben hatte. Der Prokopsche Familienrat hatte jedoch entschieden, dass der Text nicht veröffentlicht werden würde. An den Beschluss hatte sich Otto Prokop gehalten. Es hat ihn spürbar Anstrengung gekostet. Mehrmals war er drauf und dran, mir seine Autobiografie zu übergeben. In letzter Sekunde überlegte er es sich aber stets anders.
    Schließlich stöberte ich auf eigene Faust weiter. Doch es war nicht viel zu holen. Sogar die Stasi-Veteranen-Organisation IK-KORR teilte mir nach interner Besprechung mit, »zugunsten der Familie Prokop« keine Auskunft erteilen zu wollen. Diese Antwort sollte ich noch oft hören.
    Wer mir doch etwas sagte, blieb so vage, dass die Antworten nicht zitierbar waren. Auch aus den staatlichen und Universitäts-Archiven kam anfangs vorwiegend Staub. Prokops Nachbar seiner brandenburgischen Datsche (Ferienhaus) ließ – obwohl er mir wie viele andere auf einer Lesung ein Gespräch angeboten hatte – monatelang nur noch
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