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Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)

Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)

Titel: Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
Autoren: Michael Thiele
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letzten Mal selbst wahrgenommen hatte?
    Mir kam eine Idee. Ich rannte nach draußen und suchte das Tichinabäumchen, das Luke wenige Jahre vor seinem Tod neben seine inzwischen zusammengefallene Hütte gepflanzt hatte. Mein Atem stockte. Ich fand beileibe kein Bäumchen mehr vor. Ganz im Gegenteil. Ein mächtiger Baum, den ich gut und gern auf fünfzig Jahre schätzte, ragte viele Meter hoch in den wolkenlosen Himmel. Dutzende von Früchten leuchteten mir rötlich schimmernd entgegen. Teufel auch, welches Jahr schrieben wir? Waren in der Tat Jahrzehnte seit Lukes Tod vergangen?
    Ich hastete zu den Gräbern. Nichts zeugte mehr von ihrer Existenz. Lediglich die beiden Felsbrocken, welche ich seinerzeit als eine Art Gedenksteine an den Kopfenden platziert hatte, verrieten die Grabstelle. Keine aufgeschüttete Erde mehr, keine Grabeinfassung, nichts.
    Zitternd ging ich in die Knie. Seit undefinierbar langer Zeit nahm ich ihn wieder wahr, den Schmerz des Verlustes der vor Ewigkeiten gegangenen Freunde.
    Krister! Luke! Rob!
    Wo seid ihr alle?
     
    Bis zum Einbruch des Winters verbrachte ich viel Zeit mit der notdürftigen Reparatur der baufälligen Hütte und dem Anlegen von Vorräten. Ich tat gut daran. Früher Schneefall gepaart mit klirrender Kälte erwischte mich somit einigermaßen vorbereitet. Nicht enden wollende Stürme verhinderten wochenlang jeglichen Kontakt mit der Außenwelt. Nur mit Hilfe vernagelter Fenster und einer rund um die Uhr glühenden Feuerstelle hielten sich in der Hütte einigermaßen erträgliche Temperaturen. An den wenigen ruhigen Tagen wagte ich mich dick vermummt nach draußen. Es fror Stein und Bein. Schnee wohin man sah. Zum ersten Mal seit ich denken konnte präsentierte sich die See überzogen mit einem soliden Eispanzer. Welch strenger Winter! Es mochte erst früher Nachmittag sein, doch die Dämmerung zog bereits herauf. Die dunkle Jahreszeit machte ihrem Namen alle Ehre.
     
    Zurückgezogen im Innern meiner kleinen Behausung begann ich zu schreiben. Zögerlich und äußerst beschwerlich am Anfang, kam ich mehr und mehr in Schwung. Die vielen unverwüstlichen Kohlestifte sowie Lukes Vorrat an gesiebtem Flachspapier fanden nun späte Verwendung. Kurz entschlossen ernannte ich den heutigen Tag zum ersten Tag eines neuen Jahrhunderts, den 1. Januar des Jahres 700 nach Beginn der menschlichen Zeitrechnung auf Gondwana. Luke wäre aufgrund meiner gleichgültigen Ungenauigkeit erzürnt gewesen. Doch da es keine Möglichkeit mehr gab, ein genaues Jahr auch nur ansatzweise zu rekonstruieren, beließ ich es bei jener groben Schätzung.
    Das Schreiben entwickelte sich rasch zu einer wahren Besessenheit. An manchen Tagen vergaß ich die Nahrungsaufnahme, so sehr absorbierte mich die Reise zurück in die ersten drei Jahrzehnte meiner Existenz. Krister, Luke, Rob, Avalea, alle erwachten zu neuem Leben, auch die erste und einzige Liebe meines Lebens, Laura, deren Erinnerung mir eine besonders kostbare blieb. Die warmen Worte, die ich ihrer gedenkend niederschrieb, rührten mich zu Tränen. In manchen Nächten fand ich keine Ruhe, so tief bewegte ihr Andenken. Wie sehr mir nach der Nähe eines anderen Menschen – irgendeines anderen Menschen – verlangte!  
     
    Die langen und dunklen Monate in der Abgeschiedenheit der Hütte leiteten einen neuen Abschnitt meines Lebens ein. Seinen Anfang verbinde ich mit einem Ereignis, dem ich erst jetzt Bedeutung zuschreibe. Das Wiedererwachen aus jahrzehntelanger Teilnahmslosigkeit, einem Zeitraum zu dem ich beim besten Willen keinen Zugang finde, stellte den Initialfunken dar. Ich bin überzeugt davon, nur aus diesem einen Grund überhaupt noch einmal in ein Leben als menschliches Wesen zurückgefunden zu haben.
    Ich verspüre wieder Kontakt zu den Meinen!
    Verschwindend gering zwar, aber immerhin Kontakt. Womöglich liegt es an der Lethargie meiner Sinne, diese Verbindung erst jetzt, Monate nach der Rückkehr in die aktive Welt, wahrzunehmen. Zuallererst verwirrte mich jenes unbeschreibliche Gefühl zutiefst, kein Wunder, hatte ich es doch seit Ewigkeiten nicht mehr gespürt. Doch lässt es sich nicht verleugnen. Mit der Niederschrift meiner Erinnerungen an Laura nahm ich erstmals vage Notiz davon.
    Kein Zweifel!
    Ich bin nicht mehr der einzige Mensch auf Gondwana!
    Diese Erkenntnis lähmt vorübergehend jegliche Schreibwut. Tagelang tief in mich hineinhorchend liege ich auf meiner Bettstatt. Anfangs fürchte ich sogar das Einschlafen, aus Angst, das
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