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Sellavie ist kein Gemüse

Sellavie ist kein Gemüse

Titel: Sellavie ist kein Gemüse
Autoren: Thommie Bayer
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Fischkopf denn volkswirtschaftlich zu bieten? Übelriechendes, verwurmtes Meeresgetier, ein zweireihiges herrschaftliches Getue und ein Hochdeutsch, das nur deshalb so hoch ist, weil er es aus der Nase spricht, und die trägt er hoch. Ordentlich hoch sogar. Nein, nein, meine lieben Landsleute, so geht es nicht. Wenn wir wirklich kleinlich wären, dann würden wir dem Norddeutschen all das eben erwähnte vorhalten, aber tun wir das vielleicht? Wir tun es nicht. Das haben wir nämlich nicht nötig. Hölderlin und Hegel, des isch bei uns die Regel, der Schiller und der Hauff, des fällt bei uns net auf. Und damit ist nicht der Volker Hauff gemeint, obwohl der auch von hier stammt. Der kommt aus Esslingen. Am Neckar.

Wer mit wem
    Der passionierte Fußgänger

    Straßencafés sind meine Leidenschaft. Mit Aussicht auf Parkplätze. Große Parkplätze. Mit Einzugsbereich. Der einer Diskothek oder eines Supermarkts genügt mir ebensowenig wie der eines Drei-Sterne-Lokals oder Fünf-Sterne-Hotels.
    Manche Leute sammeln Kronkorken oder Ersttagsstempel, die meisten sammeln Lob, die allermeisten Geld in seinen verschiedensten Erscheinungsformen. Das kommt dem Lob am nächsten. Manche sammeln Liebesnächte, das kann sich aber sowohl mit Lob als auch mit Geld in Einzelfällen überschneiden – ganz einfältige Gemüter sammeln sogar Autogramme. Sammeln kann man alles. Von der Kunst bis zum blauen Auge – alles. Ich sammle gelungene Paarungen. Paarungen von Mensch und Automodell. Eine neunzigprozentige Trefferquote ist das mindeste, wenn ich in meinem Straßencafé sitze, irgendeinen Mann ins Auge fasse, ihm nach seinem Erscheinungsbild ein Automodell zuweise und dann seinen Weg zum Parkplatz verfolge. Wie von einem Magneten dorthin gezogen geht der silberhaarige Henri-Nannen-Verschnitt zu dem von mir vorhergesehenen anthrazitgrauen Mercedes 500 SE ohne jeden Schnickschnack. Kein Gramm Chrom zuviel, keine Ledersitze, keine Typenbezeichnung am Kofferraum und keine persönliche Kleinigkeit im Fond. Ein erlesenes, aber neutrales Brillenetui wäre das höchste der Gefühle.
    Hätte der Mann übrigens statt des feinkarierten Tweedjacketts einen dunkelblauen Blazer mit Abzeichen auf der Brusttasche getragen, dann hätte ich ihn entweder zu dem jägergrünen Jaguar XJ oder zu einem der beiden Siebener BMWs geschickt. Zu dem dunkelblauen übrigens.
    Hier kommt schon der für den weißen. Er trägt eine marineblaue Strickjacke über die Schulter geworfen, Jeans und teure College-Slipper mit Bommeln. Er ist zu jung für einen Siebener, daraus erklärt sich die geschmackliche Verfehlung, den großen Wagen in Titanweiß genommen zu haben. Für die Erkenntnis, daß ihm damit ein leicht zuhälterischer Touch anhängt, ist er noch nicht reif genug. Neureich.
    Der hier ist für den schwarzen Golf mit Weiter-so-Deutschland-Aufkleber. Schnurrbart, Lederjacke, zu enges Hemd und Polizistenschultern. Nein, er geht dran vorbei, na sowas. Er steigt in den offenen Fiat-Sportwagen. Hab’ ich doch glatt danebengelangt. Dann ist er Fahrlehrer oder Bademeister. Die sind ja auch kaum zu unterscheiden. Kommen aus der Bundeswehr, Z vier mindestens, und werden Bulle, Fahrlehrer, Bademeister oder machen eine Sportschule auf.
    Hier der nächste: alles klar, der braun-beige Anorak und die strähnigen spätblonden Haare in Verbindung mit der Siebziger-Jahre-Herrentasche – Opel Omega. Und der hier mit der kleingeringelten Dauerwelle und der schwarzgefärbten Frau im Lederkostüm – selbstverständlich blaumetallic Mercedes 300 E mit Heckspoiler und getuntem Kühlergrill. Alles klar, hier kommt endlich der für den Golf. Braungebrannt, Sascha-Hehn-Gesicht und weißen Pullover um den Hals gelegt. Das Lacoste-Polo-Hemd versteht sich von selbst. Vielleicht hat er ja den Aufkleber nicht selbst angebracht.
    Der Angegraute hier mit dem extrem kurzen Haarschnitt und dem Nappa-Blouson müßte eigentlich für den Jaguar sein. Aber nein, heut’ ist nicht mein Tag, er geht zum Dreier-BMW-Cabrio. Das hätte ich an der Magenfalte in seinem Mediengesicht und der Goldrand-Brille eigentlich sehen müssen.
    Wenn sie zu alt und zu dick für eine Lederjacke sind, aber trotzdem eine tragen, gehen sie zu einem Porsche oder Alfa; sind sie jung und haben eine schlechte Haltung in ihrem großkarierten Hemd, dann ist es ein gebrauchter Kleinwagen, dessen Image ihnen egal ist; ist die Haltung gut und das Hemd längsgestreift, dann gehen sie zu einem Wohnmobil mit umwelt- und
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