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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Schlink
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Bedienung, und das Mädchen, das neulich an der Direktorenbar ausgeholfen hatte, brachte uns im ersten Stock im großen Speisesaal an einen Fenstertisch.
    »Sie wissen, womit ich das Essen am liebsten beginne?«
    »Ich will mich gleich drum kümmern«, lächelte sie.
    Beim Oberkellner bestellte Schmalz »ein Ragoût fin im Ring mit Grünem, bitte«. Mir war nach süßsaurem Schweinefleisch Szechuan. Schmalz guckte mich neidisch an. Auf die Suppe verzichteten wir beide aus unterschiedlichen Gründen.
    Beim Aviateur bat ich um das Ergebnis der Ermittlungen zu Schneider. Schmalz berichtete überaus präzise und unter Vermeidung jeden Zischlauts. Ein unglückseliger Mensch, dieser Schneider. Nach ziemlichem Eklat wegen einer Vorschußforderung hatte Schmalz ihn über einige Tage beschattet. Schneider spielte nicht nur in Dürkheim, sondern auch in privaten Hinterzimmern und war entsprechend verstrickt. Als er auf Veranlassung seiner Spielgläubiger zusammengeschlagen wurde, ging Schmalz dazwischen und brachte den nicht ernsthaft verletzten, aber völlig verstörten Schneider nach Hause. Es war der rechte Zeitpunkt für ein Gespräch zwischen Schneider und dessen Vorgesetztem. Man traf ein Arrangement: Der in der Pharmaforschung unverzichtbare Schneider wurde für drei Monate aus dem Verkehr gezogen und in Kur geschickt, die einschlägigen Kreise wurden verpflichtet, Schneider keine Gelegenheit mehr zum Spielen zu geben. Der Werkschutz der RCW ließ den starken Arm spielen, den er im Mannheimer und Ludwigshafener Milieu hat.
    »War vor drei Jahren, und danach war der Mann nicht mehr auffällig. Aber nach meiner Meinung bleibt der eine Bombe, die weitertickt.«
    Das Essen war ausgezeichnet. Schmalz aß hastig. Er ließ kein Reiskorn auf dem Teller übrig – Pedanterie des Magenneurotikers. Ich fragte, was seiner Meinung nach mit dem passieren sollte, der hinter dem Computerschlamassel steckte.
    »Werden ihn vor allem mal gründlich befragen. Und dann ihn richtig hinbiegen. Von ihm darf dem Werk keine Gefahr mehr drohen. Vielleicht kann man den Mann gut brauchen, wird wohl ein Talent …«
    Er suchte nach einem zischlautlosen Synonym für ›sein‹. Ich bot ihm eine Sweet Afton an.
    »Nehme lieber meine eigenen«, sagte er und holte eine braune Plastikbox mit selbstgestopften Filterzigaretten aus der Tasche. »Macht immer meine Frau für mich, nicht mehr wie acht pro Tag.«
    Wenn ich etwas hasse, sind es Selbstgestopfte. Sie liegen auf einer Ebene mit Schrankwänden, festinstallierten Wohnwagen und gehäkelten Kleidchen für das Klopapier auf der Heckablage des Sonntagsausflugsautos. Die Erwähnung der Frau erinnerte mich an die Hausmeisterwohnung mit dem Namensschild ›Schmalz‹.
    »Sie haben einen kleinen Jungen?«
    Er schaute mißtrauisch und gab die Frage mit einem »Wie meinen?« zurück. Ich erzählte von meinem Irrweg durch das alte Werk, von der verwunschenen Stimmung im weinberankten Hof und der Begegnung mit dem kleinen Jungen mit dem bunten Ball. Schmalz entspannte sich und bestätigte, daß in der Hausmeisterwohnung sein Vater wohnte.
    »Der war auch bei der Truppe, kennt den General noch gut von früher. Nun guckt er im alten Werk nach dem Rechten. Am Morgen bringen wir ihm immer den Jungen, meine Frau arbeitet auch hier im Betrieb.«
    Ich erfuhr, daß früher viele Werkschutzleute auf dem Gelände gewohnt hatten und Schmalz praktisch dort aufgewachsen war. Er hatte den Wiederaufbau des Werks miterlebt und kannte jeden Winkel. Ich fand die Vorstellung eines Lebens zwischen Raffinerien, Reaktoren, Destillatoren, Turbinen, Silos und Kesselwagen bei aller Industrieromantik bedrückend.
    »Haben Sie sich nie um einen Job außerhalb der RCW kümmern mögen?«
    »Konnte ich meinem Vater nicht antun. Mein Vater meint immer: Wir gehören hierher, der General wirft den Bettel ja auch nicht hin.«
    Er sah auf die Uhr und sprang auf. »Kann leider nicht länger bleiben. Bin auf ein Uhr zum Personenschutz«, ein Wort, das er fast fehlerlos aussprach, »eingeteilt. Bedanke mich auch für die Einladung.«
    Mein Nachmittag im Personalbüro war unergiebig. Um vier Uhr gestand ich mir, daß ich das Studium der Personalakten endgültig lassen konnte. Ich ging bei Frau Buchendorff vorbei, von der ich inzwischen wußte, daß sie Judith hieß, dreiunddreißig war, einen Hochschulabschluß in Deutsch und Englisch hatte und als Lehrerin nicht untergekommen war. Sie war seit vier Jahren bei RCW , zunächst im Archiv, dann in der
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