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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz
Autoren: Schlink
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Firner zwischen zwei Sitzungen erwischte. Er konnte Sabotage weder bestätigen noch ausschließen. Schneider liege nach Auskunft seiner Frau mit Mittelohrentzündung im Bett. Also hatte auch ihn interessiert, warum Schneider nicht zur Arbeit gekommen war. Er war unwillig bereit, Tietzke am nächsten Morgen zu empfangen. Frau Buchendorff werde sich mit ihm in Verbindung setzen.
    Danach versuchte ich, Schneider anzurufen. Es nahm niemand ab, was alles oder nichts bedeuten konnte. Ich legte mich ins Bett, konnte trotz der Schmerzen im Arm einschlafen und wachte zur Tagesschau wieder auf. In den Nachrichten wurde mitgeteilt, daß die Chlorgaswolke in östlicher Richtung aufsteige und daß die Gefahr, die gar nie bestanden habe, im Laufe des Abends vorbei sei. Die Ausgangssperre, die auch keine gewesen sei, werde um 22 Uhr enden. Ich fand im Eisschrank ein Stück Gorgonzola und machte damit eine Soße zu den Tagliatelle, die ich vor zwei Jahren aus Rom mitgebracht hatte. Es machte Spaß. Mußte erst die Ausgangssperre kommen, damit ich mal wieder kochte. Ich brauchte keine Uhr, um mitzubekommen, wann es 22 Uhr war. Auf den Straßen war ein Lärm, als wäre Waldhof Deutscher Meister geworden. Ich setzte meinen Strohhut auf und ging zum ›Rosengarten‹. Eine Band, die sich ›Just for Fun‹ nannte, spielte Oldies. Die Becken des terrassierten Brunnens waren leer, und die jungen Leute tanzten darin. Ich foxtrottete ein paar Spazierschritte – Kies und Gelenke knirschten.
    Am nächsten Morgen fand ich im Briefkasten eine Postwurfsendung der Rheinischen Chemiewerke, in der zum Vorfall eine bis aufs letzte Wort sitzende Stellungnahme abgegeben wurde, » RCW schützt Leben«, erfuhr ich, und daß ein gegenwärtiger Forschungsschwerpunkt die Erhaltung der Lebensfähigkeit des deutschen Waldes sei. Ja, dann. Der Sendung lag ein kleiner Plastikkubus bei, in den ein gesunder deutscher Tannensamen eingeschweißt war. Das war possierlich anzuschauen. Ich zeigte das Objekt meinem Kater und stellte es auf den Kaminsims.
    Beim Bummel über die Planken holte ich meinen Wochenvorrat Sweet Afton, kaufte beim Fleischer auf dem Markt ein warmes Leberkäsbrötchen mit Senf, besuchte meinen Türken mit den guten Oliven, sah den vergeblichen Bemühungen der Grünen zu, mit ihrem Info-Stand am Paradeplatz das Einvernehmen zwischen den RCW und der Bevölkerung Mannheims und Ludwigshafens zu stören, und erkannte unter den Umstehenden Herzog, der sich mit Flugblättern versorgen ließ.
    Nachmittags saß ich im Luisenpark. Er kostet was, wie das Tivoli. Also hatte ich zum Jahresanfang erstmals einen Jahresausweis erstanden, den ich amortisieren wollte. Wenn ich nicht den Rentnern zusah, die die Enten fütterten, las ich im ›Grünen Heinrich‹. Frau Buchendorffs Vorname hatte mich darauf gebracht.
    Um fünf Uhr ging ich nach Hause. Den Knopf am Smoking anzunähen kostete mich mit meinem kaputten Arm eine gute halbe Stunde. Ich fuhr mit dem Taxi vom Wasserturm zum RCW -Kasino. Über den Eingang war ein Transparent mit chinesischen Schriftzeichen gespannt. An drei Masten flatterten die Fahnen der Volksrepublik China, der Bundesrepublik Deutschland und der RCW im Wind. Rechts und links vom Eingang standen zwei Pfälzerinnen in Tracht und sahen so authentisch aus wie die Barbie-Puppe als Münchner Kindl. Die Vorfahrt der Wagen war in vollem Gang. Es wirkte alles rechtschaffen und würdig.

9
Der Wirtschaft ins Dekolleté gegriffen
    Im Foyer stand Schmalz.
    »Wie geht es Ihrem Söhnchen?«
    »Gut, danke, möchte gerne nachher noch mit Ihnen reden und danken. Bin im Moment unabkömmlich hier.«
    Ich ging die Treppe hoch und durch die offenen Flügeltüren in den großen Saal. Man stand in kleinen Grüppchen zusammen, die Kellnerinnen und Kellner servierten Champagner, Orangensaft, Champagner mit Orangensaft, Campari mit Orangensaft und Campari mit Sprudel. Ich schlenderte ein bißchen herum. Es war wie auf jedem Empfang, bevor die Reden gehalten sind und das Büfett eröffnet ist. Ich suchte nach bekannten Gesichtern und fand die Rothaarige mit den Sommersprossen. Wir lächelten uns zu. Firner zog mich in einen Kreis und stellte mir drei Chinesen vor, deren Namen aus San, Yin und Kim in wechselnder Kombination bestanden, sowie Herrn Oelmüller, Leiter des Rechenzentrums. Oelmüller versuchte, den Chinesen zu erklären, was Datenschutz in Deutschland ist. Ich weiß nicht, was sie daran so komisch fanden, jedenfalls lachten sie wie Hollywood-Chinesen
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