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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon
Autoren: Emile Zola
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Gewänder der Statuen des Ackerbaues und
des Gewerbes mit ihren antiken Gesichtern.
    »Meine Herren,« wiederholte er, nachdem ein wenig Ruhe
eingetreten war, »ich habe einen Brief von Herrn von Lamberthon
erhalten, worin er sich entschuldigt, der heutigen Sitzung nicht
beiwohnen zu können.«
    Auf der sechsten Bank gegenüber dem Präsidentensitze wurde ein
leises Lachen vernehmbar. Es ging von einem sehr jungen Abgeordneten aus, der höchstens
achtundzwanzig Jahre alt, blond und von sehr einnehmendem Äußern,
mit seinen weißen Händen seinen Heiterkeitsausbruch nicht
zurückhalten konnte, der so silbern hervorperlte, als komme er aus
dem Munde einer hübschen Frau. Einer seiner Nachbarn, ein ungeheuer
dicker Herr, rückte drei Sitze näher und flüsterte ihm ins Ohr:
    »Hat Lamberthon wirklich seine Frau gefunden? Erzählen Sie doch,
La Rouquette!«
    Der Präsident hatte eine Handvoll Papiere ergriffen und sprach
mit eintöniger Stimme; Bruchstücke seiner Rede drangen bis in den
Hintergrund des Saales:
    »Es liegen einige Urlaubsgesuche vor: Herr Blachet, Herr
Buquin-Lecomte, Herr de la Villardière… «
    Während die Kammer diese Gesuche bewilligte, hatte sich
inzwischen Herr Kahn ohne Zweifel am Anblick der grünen Seide, die
das aufrührerische Bild Ludwig Philipps bedeckte, sattgesehen, denn
er hatte sich halb umgedreht, um die Tribünen zu betrachten. Über
dem Unterbau von gelbem Marmor, der mit Lack geädert war, zog eine
einzige Reihe von Tribünen von einer Säule zur andern ihre
Brüstungen von amarantfarbenem Samt; oberhalb vermochte ein Vorhang
von gepreßtem Leder nicht die Lücke zu verbergen, welche die
Beseitigung der zweiten Galerie gelassen hatte, die vor dem zweiten
Kaiserreiche den Berichterstattern und Zuhörern eingeräumt gewesen
war. Zwischen den starken, gelblichen Säulen, die ihre etwas
schwerfällige Pracht um den Halbkreis her entfalteten, waren die
engen, dunklen und fast leeren Logen eingeklemmt. Nur drei oder
vier lichtgekleidete Frauengestalten belebten sie einigermaßen.
    »Siehe da! Oberst Jobelin ist gekommen!« murmelte Herr
Kahn. Er lächelte dem Obersten zu, der ihn
bemerkt hatte. Oberst Jobelin trug den dunkelblauen Überrock, den
er als Ziviluniform gewählt hatte, seit er in den Ruhestand
getreten war, und saß ganz allein in der Quästorenloge mit seiner
Offiziersrosette, die so groß war, daß sie der Knoten eines
Halstuches schien.
    Weiter links, in einem Winkel der Staatsratsloge, blieben die
Augen des Herrn Kahn an einem jungen Paare haften, das zärtlich
aneinandergeschmiegt beisammensaß. Der junge Mann beugte sich jeden
Augenblick zum Nacken seiner Gefährtin, um ihr etwas zuzuflüstern;
sie lächelte dann hold, ohne die Blicke von dem Standbilde der
öffentlichen Ordnung wegzuwenden.
    »Hören Sie, Béjuin!« murmelte der Abgeordnete und stieß seinen
Nachbar ans Knie.
    Herr Béjuin, der eben beim fünften Briefe war, hob betroffen den
Kopf.
    »Sehen Sie nicht dort oben den kleinen d'Escorailles und die
hübsche Frau Bouchard? Ich wette, daß er sie in die Hüften kneift.
Sie macht so schmachtende Augen … Alle Freunde Rougons haben
sich also hier ein Stelldichein gegeben. In der Zuhörertribüne ist
auch Frau Correur und das Ehepaar Charbonnel anwesend.«
    Anhaltendes Läuten erscholl. Ein Hausbeamter rief mit
wohlklingender Baßstimme: »Ruhe, meine Herren!« Man horchte, und
der Präsident sprach folgende Worte, von denen nicht eines
verlorenging: »Herr Kahn bittet um die Ermächtigung, die Rede
drucken zu lassen, die er bei der Verhandlung des die Erhebung
einer Gemeindesteuer nach den in Paris verkehrenden Wagen und
Pferden beantragenden Gesetzentwurfes gehalten hat.«
    Ein Gemurmel lief durch die Bänke, und die Gespräche wurden wiederaufgenommen. Herr La Rouquette hatte sich
neben Herrn Kahn niedergelassen.
    »Sie bemühen sich also um die Bevölkerung?« fragte er scherzend,
und ohne die Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: »Haben Sie Rougon
nicht gesehen? Nichts erfahren? … Alle Welt spricht von der
Geschichte, doch scheint noch nichts gewiß zu sein.«
    Er wandte sich um und blickte auf die Uhr.
    »Schon zwanzig Minuten über zehn! Ich würde mich drücken, wenn
dieser verteufelte Bericht nicht zur Verlesung käme! Ist er
wirklich für heute anberaumt?«
    Herr Kahn versetzte:
    »Es ist uns allen angezeigt worden, und ich habe nicht gehört,
daß die Sache widerrufen wäre, Sie werden also gut tun, zu bleiben;
die vierhunderttausend Franken
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