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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon
Autoren: Emile Zola
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seine langen,
faltenlosen Wangen bewahrten eine ruhig angehauchte Blässe, die
frische Farbe eines kleinstädtischen Notars. Bloß seine
dichtsitzenden, ergrauenden Haare lichteten sich an den Schläfen
und ließen seine breiten Ohren frei. Mit halbgeschlossenen Augen
blickte er in den Saal und wartete noch
immer. Einen Augenblick schien er zu suchen; nachdem er dem
aufmerksam vorgeneigten Gesichte Clorindens begegnet war, begann er
mit schwerfälliger Stimme:
    »Auch wir sind Revolutionäre, wenn man darunter Männer des
Fortschrittes versteht, die entschlossen sind, dem Lande alle
vernünftigen Freiheiten, eine nach der anderen,
wiederzugeben … «
    »Sehr gut, sehr gut!«
    »Meine Herren! Welche Regierung hat mehr als das Kaiserreich
jemals die liberalen Reformen verwirklicht, deren verlockendes
Programm Sie soeben entwerfen hörten? Ich werde die Ausführungen
des geehrten Vorredners nicht bekämpfen. Es wird genügen, wenn ich
den Beweis führe, daß das Genie und das große Herz des Kaisers den
Forderungen der erbittertsten Gegner seiner Herrschaft
zuvorgekommen sind. Ja, meine Herren, der Kaiser hat von selbst der
Nation jene Macht zurückgegeben, mit der sie ihn an einem Tage der
allgemeinen Gefahr bekleidet hat. Ein herrliches Schauspiel, so
selten in der Geschichte! Wir begreifen sehr wohl den Ärger
gewisser Umsturzmänner. Es bleibt ihnen nichts übrig, als die
Absichten, das Maß der wiedergegebenen Freiheit zu bekämpfen …
Sie haben die große Tat vom vierundzwanzigsten November begriffen.
Sie wollen in dem ersten Absatz der Adresse dem Kaiser Ihre tiefe
Dankbarkeit für seine Großmut und sein Vertrauen zur Weisheit des
gesetzgebenden Körpers ausdrücken. Die Annahme des Ihnen
unterbreiteten Antrages wäre eine unbegründete Kränkung, eine
schlechte Handlung. Gehen Sie mit Ihrem Gewissen zu Rate, meine
Herren, und fragen Sie sich, ob Sie frei sind. Die Freiheit ist
heute eine vollständige, ganze. Ich bürge dafür … «
    Lang anhaltendes Händeklatschen unterbrach den Redner. Er hatte
sich langsam dem Rande der Tribüne genähert. Den Körper ein wenig vorgebeugt und den Arm
ausgestreckt, erhöhte er jetzt seine Stimme, die mit
außerordentlicher Kraft sich vernehmbar machte. Herr von Marsy lag
hinter ihm in seinem Sessel und hörte ihm zu mit der Miene eines
Dilettanten, der von der vortrefflichen Ausführung einer glänzenden
Leistung entzückt ist. Inmitten des Beifallssturmes, der den Saal
durchbrauste, sah man einzelne Abgeordnete die Köpfe überrascht
zusammenstecken und mit gespitzten Lippen flüstern. Clorinde lehnte
in ernster Haltung auf dem roten Samt der Brüstung.
    Rougon fuhr fort:
    »Die von uns allen ungeduldig erwartete Stunde hat endlich
geschlagen. Es ist nicht mehr gefährlich, aus dem wohlhabenden
Frankreich ein freies Frankreich zu machen. Die anarchistischen
Leidenschaften sind tot. Die Energie des Herrschers und der
feierliche Wille des Landes haben die abscheulichen Zeiten
öffentlicher Verderbnis für immer in das Nichts zurückgestoßen. Die
Freiheit ist möglich geworden an dem Tage, an dem jene Partei
überwunden wurde, die hartnäckig die Grundlagen der Regierung
verkannte. Darum glaubte der Kaiser seine mächtige Hand
zurückziehen zu sollen; er wies die notwendigen Vorrechte der Macht
als eine unnütze Last zurück und hielt seine Macht für unbestritten
in dem Maße, daß er die Erörterung darüber zuließ. Er ist nicht vor
dem Gedanken zurückgeschreckt, die Zukunft auf das Spiel zu setzen;
er wird in seiner Befreiungsaufgabe bis ans Ende gehen; er wird die
Freiheiten eine nach der andern wiedergeben an den Zeitpunkten, die
seine Weisheit bestimmen wird. Dieses Programm eines unablässigen
Fortschrittes ist's, das wir künftig in dieser Versammlung zu
verteidigen haben … «
    Einer der fünf Abgeordneten der Linken erhob sich entrüstet und
sagte:
    »Sie waren der Minister der Unterdrückung
bis aufs äußerste!«
    Ein anderer fügte leidenschaftlich hinzu:
    »Die Leute, die Gayenne und Lambessa bevölkerten, haben nicht
das Recht, im Namen der Freiheit zu sprechen!«
    Da entstand ein allgemeines Gemurmel. Viele Abgeordnete
begriffen diese Ausrufe nicht und neigten sich zu ihre» Nachbarn um
Aufklärung. Herr, von Marsy tat, als habe er nicht gehört und
begnügte sich, den Zwischenrufern mit dem Ordnungsrufe zu
drohen.
    »Man hat mir soeben vorgeworfen … « nahm Rougon wieder
auf.
    Doch von der Rechten erhoben sich Stimmen, die ihn
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