Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein letzter Fall - Fallet G

Sein letzter Fall - Fallet G

Titel: Sein letzter Fall - Fallet G
Autoren: Håkan Nesser
Vom Netzwerk:
Geschichte.
    Aber mein Gott, lass nicht…
    Er formulierte den Gedanken nicht zu Ende. Das war nicht nötig.
    »Ich bin jetzt fertig.«
    Sie erhob sich von ihrem Platz auf dem Baumstamm.
    »Woher weißt du das?«
    Er kletterte aus der Grube, streckte vorsichtig die Rückenmuskeln und umfasste den Spatengriff mit beiden Händen. Sah, dass das Blatt nicht in die Erde sank, sondern auf einem Grasbüschel stand.
    »Ich denke, tiefer will ich nicht liegen.«
    Sie betrachtete das Grab einen Augenblick lang und schien über etwas nachzudenken. Er schaute auf die Uhr. Es war fünf Minuten vor sieben. Der Wald war inzwischen erwacht. Er vernahm das auf eine distanzierte, halbbewusste Art und Weise, durch Sinneseindrücke, die so subtil waren, dass er sie nie im Einzelnen registrierte. Oder sich überhaupt die Mühe machte, sie registrieren zu wollen. Kleine Geräusche, feine Gerüche, schnelle Bewegungen.
    »Dem Himmel nah«, sagte er. »Ich denke, ich ziehe es vor, hoch zu liegen. Wenn es dein Grab wäre, würde ich natürlich tiefer graben.«
    Dazu hatte sie nichts zu sagen. Presste nur die Lippen zu einem feinen Strich zusammen und hob die Waffe.
    »Habe ich noch einen letzten Wunsch frei?«
    »Einen letzten Wunsch? Lass hören.«
    Sie lachte auf. Aber dennoch ein wenig nervös. Er räusperte sich und umklammerte den Spatengriff. Spannte die Muskeln in Armen und Beinen an.
    »Ein Vogel. Ich würde gern einen Vogel sehen, bevor ich sterbe. Kannst du solange warten?«
    Er hob den Blick zum bleichen Himmel über den Bäumen. Hörte, wie sie einen Laut ausstieß, etwas zwischen einem Schnauben und einem neuen, kurzen Lachen.
    Dann sah er, dass auch sie ihren Blick nach oben hob.
    Jetzt, dachte er.
    Trat einen kleinen Schritt vor und schwang den Spaten.
    Hörte den Schuss und spürte den Schmerz im selben Moment.
    Einen Schmerz, so stark, wie er ihn sich nie hatte vorstellen können. Nie.
    Dann ein blendendes Weiß.
    Dann Dunkelheit.

52
    Die Witwe Laine war uralt und runzlig wie die Obstbäume um ihr Haus herum am Waldrand. Als sie ihnen auf der Küchentreppe entgegenkam, sah sie so spröde und zerbrechlich wie eine verblühte Pusteblume aus – mit dem weißen, durchsichtigen Haar wie ein Glorienschein über dem Gesicht, das von den Falten eines Jahrhunderts durchfurcht war. Daran fehlten sicher nur wenige Jahre.
    Die klaren Augen gaben Zeugnis davon, dass es auch im Inneren Falten gab, wie Münster fand, der ihr als Erster die Hand schüttelte.
    »Na, so was«, kicherte sie und trat eine melierte Katze beiseite, die sich an ihr reiben wollte. »So viele Leute habe ich nicht mehr gesehen, seit ich neunzig geworden bin. Wenn Sie Kaffee wollen, müssen Sie ihn sich selber kochen, ich muss gleich meinen Morgenschlaf machen. Ich bin schließlich seit sechs Uhr auf.«
    Münster nickte und erklärte, dass das nicht nötig sei. Aber es stimmte schon, sie waren ziemlich viele. Die drei Wagen waren fast gleichzeitig angekommen. Bausen und deKlerk aus der Polizeizentrale. Er selbst, Rooth, Stiller und Moerk aus der Wackerstraat, wo sie die Befragung der Nachbarn abgebrochen hatten, sobald sie von Frau Laines Beobachtungen erfuhren.
    Sechs Stück. Doch, es gab einen Grund für ihren Kommentar.
    »Sie haben also den Wagen gesehen?«, fragte deKlerk. »Wo denn? Ich war es, mit dem Sie telefoniert haben.«
    »Da unten.«
    Sie zeigte mit einem krummen Zeigefinger über die Wiese zum Waldrand hin. Fünf Paar Polizeiaugen und ein Paar ehemalige Polizeiaugen starrten in die angegebene Richtung. Der Weg, der von Frau Laines Haus zur Straße hinführte, setzte sich in schmalerer Form – eigentlich nicht mehr als ein paar Reifenspuren – quer über die Wiese fort, hinein unter die hohen, leicht schwankenden Espen und Buchen.
    »Ich gehe morgens immer eine Runde mit Ginger Rogers«, erklärte sie mit lauter Stimme, damit alle es hören konnten. »Jeden lieben Tag. Zum Meer hin und wieder zurück, wir brauchen beide Bewegung. Bei Wind und Wetter.«
    »Mit Ihrem Hund?«, wollte Bausen wissen.
    »Ja, mit dem Hund. Dich kenne ich doch. Äh, sie ist vierzehn Jahre alt und hat ebenso viele Rassen in sich… manchmal muss ich sie nach Hause tragen, sie ist fauler als ein Pastor… liegt jetzt schon vor dem Kamin und pennt.«
    »Sie haben die Suchmeldung im Radio gehört?«, fragte Inspektorin Moerk.
    Frau Laine nickte und schob das Gebiss mit der Zunge zurecht. »Ich höre immer um halb acht die Nachrichten. Aber jetzt müsst ihr allein zurechtkommen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher