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Sein letzter Fall - Fallet G

Sein letzter Fall - Fallet G

Titel: Sein letzter Fall - Fallet G
Autoren: Håkan Nesser
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Fünfzig-Liter-Kühlschrank, ein Wasserkocher sowie ein abgewetzter Besuchersessel. An einer Wand hing ein Kalender mit Reklame für eine Tankstelle, an einer anderen die Reproduktion einer düsteren Piranesi-Lithographie. Die anderen beiden waren leer.
    Abgesehen von dem Kalender, den Verlangen mit schlafwandlerischer Sicherheit jedes Jahr Ende Januar oder Anfang Februar austauschte, sah das Büro haargenau so aus wie in den letzten vier Jahren. Seit er eingezogen war. Man sollte nicht unterschätzen, wie sehr es die Umgebung vermag, dem Leben Sicherheit und Stabilität zu geben, pflegte er gern zu denken. Man sollte nicht den Staub der Jahre verachten, der sich auf unsere Schultern legt.
    Er schaltete die Deckenlampe ein, weil die Schreibtischlampe kaputt war. Hängte seine dünne Windjacke an einen Haken an der Türinnenseite und stellte das Bier in den Kühlschrank.
    Ließ sich sodann auf dem Schreibtischstuhl nieder und legte die Staubsaugerbeutel in die rechte, oberste Schublade. Er wollte sie nicht hier im Büro benutzen. Ganz und gar nicht. Den Staubsauger der Marke Melfi, den er besaß– eines der wenigen Dinge, die er nach der Scheidung mitbekommen hatte, möglicherweise, weil er bereits zur Zeit seiner Ehe so schlecht funktioniert hatte –, verwahrte er in seiner Wohnung in der Heerbanerstraat. Und dort wollte er sie auch benutzen. Womit die Grenze erreicht war. Er überlegte einen Moment, ob er die Tüten nicht doch lieber auf dem Schreibtisch platzieren sollte; das Risiko, dass sie nach Ende des Arbeitstages in der Schublade zurückbleiben würden, war zweifellos vorhanden, aber er entschloss sich, es zu riskieren. Staubsaugertüten passten nun mal nicht gerade zu dem Inventar, das ein Besucher in einem renommierten Detektivbüro vorzufinden erwartete.
    Verlangens Detektivbüro.
So stand es auf dem einfachen, aber stilvollen Schild draußen an der Tür. Er hatte es selbst gedruckt, es hatte ihn einen Vormittag gekostet, aber das Ergebnis sah gar nicht so schlecht aus.
    Er schaute auf seinen Terminkalender. Da gab es eine Notiz wegen eines Termins mit der Versicherungsgesellschaft am Nachmittag. Ansonsten war er leer. Er kontrollierte den Anrufbeantworter, ob er irgendwelche aufgezeichneten Mitteilungen enthielt. Nahm ein Bier aus dem Kühlschrank, öffnete es und zündete sich eine Zigarette an.
    Schaute auf die Uhr. Es war zehn Minuten nach zehn.
    Wenn ich keinen Kunden vor zwölf Uhr kriege, dann esse ich schnell was im Oldener Maas, und anschließend gebe ich mir die Kugel, dachte er und lächelte verbissen vor sich hin.
    Das war ein Zwangsgedanke, der ihm jeden Morgen in den Sinn kam, und eines Tages würde er ihn in die Tat umsetzen. Er war siebenundvierzig Jahre alt, und die Menschen, die ihn vielleicht vermissen könnten, waren an dem Daumen einer Hand abzulesen.
    Sie hieß Belle und war seine Tochter. Siebzehn, fast achtzehn. Er betrachtete eine Zeit lang ihr lachendes Gesicht auf dem Foto neben dem Telefon und trank noch einen Schluck Bier. Zwinkerte die Tränen fort, die der bittere Geschmack hochkommen ließ, und rülpste.
    Wie hat so ein Schwein wie ich nur so eine Tochter kriegen können?, überlegte er.
    Auch das war ein immer wiederkehrender Gedanke. Überhaupt gab es viele Wiederholungen in Maarten Verlangens Gehirn. In erster Linie alte, trübe Fragen ohne Antwort. In klaren Stunden kam es vor, dass diese Tatsache ihn erschreckte.
    Aber es gab ein Gegenmittel gegen klarsichtige Ängste. Zum Glück. Er trank noch einen Schluck und nahm einen tiefen Zug von der Zigarette. Stand auf und stellte das Fenster auf Kipp. Setzte sich wieder.
    Inzwischen war es dreizehn Minuten nach zehn geworden.
    Sie rief kurz vor elf Uhr an und tauchte eine halbe Stunde später auf. Eine ziemlich große Frau um die fünfunddreißig. Braunrotes, schulterlanges Haar. Schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen und klar gezeichneten Zügen. Schlank und sportlich, aber dennoch mit einer sich deutlich abzeichnenden Brust. Sie trug eine eng anliegende schwarze Hose und eine weinrote Bluse mit sehr kurzen Ärmeln. Sorgsam gezupfte Augenbrauen. Er fand, sie sah gut aus.
    Sie ließ schnell den Blick durch den Raum schweifen. Verweilte eine Sekunde auf dem Piranesi-Druck, bevor sie schließlich ihre Aufmerksamkeit auf Verlangens düstere Visage richtete.
    »You mind, if we speak English?«
    Verlangen erklärte, dass er die Sprache nicht vergessen hätte in den letzten dreißig Minuten. So lange war es her, dass sie
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