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Seidendrachen

Seidendrachen

Titel: Seidendrachen
Autoren: Carol Grayson
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blickte ihm sehnsüchtig nach. Sah, wie sein Schüler über die weitläufige Rasenfläche mit den kunstvoll geschnittenen Buchsbaumkugeln und den kleinen, mit Figuren verzierten Springbrunnen rannte. Hin und wieder glitt sein Fuß auf dem nassen Rasen aus, doch er stolperte weiter. Immer weiter, ohne sich umzusehen - bis er die hölzerne Tür zum Dienstbotentrakt des Schlosses erreicht hatte und diese mit einem Knall hinter ihm zufiel.
    Völlig außer Atem und durchnässt sank er an den Türbohlen entlang, bis er wie ein Knabe auf dem Boden hockte. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, versuchte er, langsam wieder zur Ruhe zu kommen. Aber das wilde Pochen seines Herzens konnte er dadurch nicht beruhigen und erst recht nicht diesen lockenden Schmerz in seinen Lenden.
    Wieder tauchte in seinen Gedanken der vorwurfsvolle Blick von Akio bei seinem Abschied aus dem Kloster auf. Er schämte sich, kam sich wie ein Verräter an Akio vor. Er weinte. Und seine Tränen vermischten sich mit den Regentropfen auf seiner Haut.
     
    *
     
    Während der ganzen langen und einsamen Rückreise hatte Pater Simon überlegt, wie er seinem Abt sein Versagen erklären sollte. In all den Jahren seiner Reisetätigkeit in fremde Länder waren seine Vermittlungen selten ergebnislos verlaufen und noch nie hatten sie, wie jetzt, das genaue Gegenteil seiner Intentionen zur Folge gehabt. Dieser dumme Bengel! Warum hatte er ihn mit zum König ins Audienzzimmer gebracht und nicht draußen bei den Pferden gelassen? Er schalt sich selbst laut einen Narren. Allein aus diesem Grunde hatte er es nicht eilig, zu seinem Kloster zurückzukehren. Andererseits war da der König, der auf der Einhaltung seiner Forderung bestehen würde. Wenn sie diese nicht erfüllten, waren die Konsequenzen nicht abzusehen. Vielleicht würde man ihren Orden in Frankreich sogar verbieten und sie des Landes verweisen! Ordensbrüder aus allen Teilen Europas befanden sich in diesem Kloster. Und sie alle würden ihre Heimat verlieren! Also trieb er sein Pferd immer wieder in den Galopp.
    Abt Clement versuchte, seinen aufkeimenden Ärger zu unterdrücken, nachdem Pater Simon ihm mit gesenktem Haupt seinen Bericht ablieferte. Das war kurz nach der Morgenandacht.
    „Wie konntet Ihr nur diesen unreifen Knaben mit auf eine solche Reise nehmen!“, empörte er sich. Am liebsten hätte er laut geflucht, doch das war ihm als Kirchenmann untersagt. „Ich sehe ein, dass es ein Fehler war“, gab Simon reumütig zu. Clement tat einen tiefen Atemzug: „Nun, zumindest ist unsere finanzielle Absicherung gerettet und unsere Brüder werden in den nächsten Jahren satt werden. Wir sollten das also als Teilerfolg verbuchen.“ Und nach einer kleinen Weile des gemeinsamen Schweigens:
    „Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass der König seine Meinung ändert?“
    Pater Simon schüttelte den Kopf. Der Klostervorsteher setzte sich nun hin. Er überlegte und spielte mit der Schreibfeder vor sich auf dem einfachen Tisch, auf dem sich Pergamentrollen und christliche Schriften stapelten. Es roch sogar nach Papier. Simon wartete geduldig, bis der Abt wieder das Wort an ihn richtete:
    „Wenn unser Jarin die Leibwache des Jungen wird, so sollte es doch möglich sein, dass dieser ihm die Geheimnisse der Seide entlockt.“
    Simon horchte auf.
    „Ihr wollt ihn als Spion einsetzen?“ „Warum denn nicht? Offenbar hat er doch einen Narren an diesen Akio gefressen. Wenn er sein Vertrauen gewinnt, kommen wir vielleicht doch noch zum Ziel. Es gibt genug Maler in unserem eigenen Land. Akios Wissen um die Gewinnung der Farben ist das, was letztendlich den Erfolg ausmachen wird. Und es spricht doch nichts dagegen, wenn wir unsere Gewebe zum Beispiel dem italienischen oder dem niederländischen Hof anbieten würden. Vor allem letzterer könnte an einer Handelsbeziehung mit uns interessiert sein.“
    Im Kopf des Abtes nahm eine kleine Erpressung Gestalt an. Der Herzog war alt und bald würde sein Sohn die Regierungsgeschäfte übernehmen. Wenn dieser nun von seinem Halbbruder erfahren würde? Clement lächelte still in sich hinein.
    Immer noch dieser listige, alte Fuchs, lobte er sich insgeheim selbst. Aber dieses Druckmittel besaß er nur, solange der alte Herzog noch lebte. Also musste er sich mit der Umsetzung seiner Pläne beeilen.
    „Ich werde mit Jarin sprechen, sobald wir zurück im Schloss sind“, versprach Simon. Es gab also doch noch Hoffnung, den Reichtum des Klosters über die kommenden Jahre zu
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