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Seidendrachen

Seidendrachen

Titel: Seidendrachen
Autoren: Carol Grayson
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würde!
    „Dein linkes Handgelenk ist immer noch sehr schwach!“, bemängelte Nicolas. „Stell dir vor, du könntest in einer Schlacht dein Pferd nur mit der rechten Hand lenken! Dann versagt dir die linke den Dienst! Du wärst ein toter Mann.“
    „Aber ich habe doch gar nicht vor, an irgendwelchen Schlachten teilzunehmen“, maulte Jarin, dem der Rücken bereits weh tat und das Atmen schwer fiel von den Schwertübungen mit dem linken Arm. Er hielt die schwere Waffe gesenkt. Am liebsten hätte er sie aus der Hand gelegt, sich gestreckt, ein Bad genommen und ausgeruht. Der leichte Nieselregen ermöglichte kaum noch einen sicheren Stand auf der Rasenfläche. Sein weites Hemd hing halb über den enganliegenden Hosen.
    Sein Lehrer war ähnlich gekleidet, trug zum Schutz noch eine Weste aus schwerem, weinroten Samt über dem Hemd. Eine Kleidung, an die der Junge sich hatte gewöhnen müssen. Sein grob gewebtes Mönchsgewand hatte einer der Diener bereits verbrannt. „Danach wirst du gar nicht gefragt!“, wies der Gardehauptmann ihn zurecht. Er zog nun seine schwere Weste aus und trat hinter ihn. Jarin spürte seinen Atem im Nacken. War ihm das unangenehm? Er versuchte, sich auf die Anweisungen zu konzentrieren.
    „Richte dich mehr auf!“
    Mit beiden Händen bog Nicolas die bereits schmerzenden Schulterblätter seines Zöglings zurück. Jarin hätte am liebsten aufgeschrien, biss sich jedoch auf die Zunge. Die Tränen schossen ihm in die Augen. Doch er wollte vor dem jungen Hauptmann keine Schwäche zeigen.
    „Stell dir vor, du müsstest einen Kampf auf Leben und Tod in schwerer Rüstung bestreiten!“, klang vorwurfsvoll de Verviers Stimme hinter ihm.
    Dieser stützte nun seinen linken Unterarm mit seiner linken Hand und seine Rechte in Jarins Hüfte. Gemeinsam hoben sie so die schwere eiserne Waffe und vollführten einige Schwungübungen damit. Der Capitaine zeigte seinem Schüler, wie man parierte und dem imaginären Gegner Schläge versetzte.
    Dabei lenkte er Jarins Körper durch den Druck seiner Hände wie ein Gaukler seine Marionette. Ihrer beider Atem ging mittlerweile schwer. Diese Übungen kosteten Kraft und auch der Regen wurde stärker. Er fiel in feinen, geraden Schnüren und webte einen dichten Vorhang um die beiden Kämpfer.
    Der Duft der ersten Frühlingsblumen im Park verstärkte sich und es schien für einen Augenblick, als würde die Erde im gleichen Rhythmus atmen wie die beiden jungen Männer, als diese innehielten und eine Pause machten.
    Doch anstatt Jarin loszulassen, hielt Nicolas ihn weiterhin fest, schlang seine Arme von hinten um ihn und schmiegte sich an den schlanken Körper. Für einen Augenblick erstarrte der Junge. Das Schwert fiel zu Boden. Sein erster Reflex, sich loszureißen, erlahmte mit jedem Atemzug mehr. Er fühlte sich versucht, sich einfach an Nicolas breite Schultern anzulehnen.
    Der Regen hatte sie beide bis auf die Haut durchnässt und ließ den Stoff der Hemden an ihren Körpern kleben. Jarin zitterte. War es nur der kühle Frühlingsregen oder diese ganze bizarre Situation? Dieses unerwartete Brennen in ihm, das ihn die ungemütliche Witterung vergessen ließ?
    „Was empfindest du?“, flüsterte Nicolas in Jarins Ohr, so dicht, dass seine Lippen die Ohrläppchen des Jungen sacht berührten. Nicht mehr als die Berührung eines Schmetterlingsflügels. Statt einer Antwort entrang nur ein leiser Seufzer Jarins Mund. Er wusste es selbst nicht.
    Seine Empfindungen bewegten sich jenseits seines Denkens und sprengten gerade die Ketten, die ihm Mönche in all den Jahren seiner Klosterbruderschaft angelegt hatten! Was geschah da mit ihm? Jarin spürte deutlich das Begehren, welches ihm so unvermittelt entgegen gebracht wurde und sein Körper gab Nicolas die Antwort auf diese unerwartete Frage.
    Wenn er jetzt noch eine einzige Bewegung macht, verliere ich den Verstand!
    Als hätte Nicolas diesen Gedanken Jarins aufgefangen, drehte er diesen - immer noch einer Marionette gleich - zu sich herum. Er blickte in die großen blauen Augen, die ihn auf eine anrührende Weise hilflos anstarrten. Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die sonst hellblonden Haare hingen in nassen Strähnen um die bartlosen Wangen. Nicolas fasste dieses Antlitz mit seinen beiden Händen und küsste Jarins Mund. Er konnte nicht anders, als ihm diesen spontanen Beweis seiner Zuneigung zu schenken. Es war wie ein innerer Zwang.
    Jarin riss sich urplötzlich los und rannte davon. De Vervier
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