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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
Autoren: Michael Jürgs
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eine Gesellschaft nur dann gedeihen kann, falls es gelingt, den Bürgern die richtige geistige Verfassung einzupflanzen. Denn sonst endet der Staat als Wüstenei.
    Das Positive leuchtet an vielen Orten und an jedem Tag und in jeder Nacht. In den Kinos, in den Theatern, in den Museen, in den Opernhäusern, in den Konzertsälen, in den Buchhandlungen.
    Oje.
    Verstehen das die Deppen?
    Ohne eine von Vorurteilen freie Sympathie fürs Volk ist die beste Gesinnung nichts weiter als eine ziemlich blöde, arrogante Haltung. Die grundsätzliche Verachtung von Spießbürgern und Prolos und nervigen Blöden muss dennoch unter dieser Bereitschaft, sie behutsam hegend und pflegend in andere Verhältnisse wachsen zu lassen, nicht leiden. Sobald es aber keine andere Chance auf Sieg gibt, darf die erstgenannte Bedeutung von Kultur als Mittel zum Zweck benutzt werden. Erst dann kommt das Pflugmesser zum Einsatz, erst dann wird rücksichtslos umgepflügt, erst dann bleibt kein Stein auf dem anderen, keine Krume in ihrem Bett, erst dann wird frei nach Bohlen zunächst planiert, danach saniert.
    Das klingt aber nun verdammt nach jener Klugscheißerei, die man als Autor eigentlich vermeiden wollte und auch sollte und in die man – nobody is perfect – dennoch hin und wieder trotz aller berechtigten Einwände des Lektors verfällt. Sorry.
    Was ließe sich wirkungsvoller unternehmen gegen die allgemeine Verblödung? Ist die bisherige Taktik, sich auf die einleuchtende Wirkung eines Märchens zu verlassen und heutige Blödmacher in des Kaisers neuen Kleidern vorzuführen, sie bloß lächerlich zu machen, nur ein blödes Spiel gewesen? Soll man sie nicht einfach tun lassen, was sie wollen? Es könnte doch ein genialer taktischer Schachzug sein, sich im Schutze der Nacht leise vom Acker zu machen und die Blöden sich selbst zu überlassen. Wäre kein triumphaler Sieg, wie er mal in den Geschichtsbüchern stehen würde, oder auch nur in Wikipedia, sondern im Gegenteil nichts weiter als eine peinliche Niederlage.
    Selbstverständlich
    - könnte man sich zum Beispiel mit Deutschlandradio Kultur zurückziehen in die höheren Sphären der Bildung und
denen da unten ihre unstillbaren Triebe und ihr geselliges Treiben gönnen.
    - könnte man beispielsweise den Empfehlungen des gebildeten Literaturliebhabers Rolf Vollmann folgen und sich unter den Hunderten von ihm vorgestellten Romanen in seinem zweibändigen Standardwerk »Die wunderbaren Falschmünzer« spontan in die schönsten verlieben und mit ihnen auf private Abenteuerreisen im Kopf gehen.
    - könnte man sich beispielhaft unterhalten lassen mit wahnwitzig guten Parodien auf anderswo versendete Blödmacher bei Switch reloaded auf ProSieben.
    - könnte man den öffentlich-rechtlichen Anarchisten Dennis Kaupp und Jesko Friedrich von Extra Drei (NDR) länger als die ihrer beispiellos gemeinen Kunstfigur Johannes Schlüter gestatteten zweieinhalb Minuten bei der Verarschung von Zeitgenossen mit sicht- und hörbar hohem A-Quotienten zusehen.
    - könnte man mit wissbegierigen und wohlerzogenen Zöglingen auf Klassenfahrten zu den auf der ganzen Welt verteilten Stationen der Bildung gehen.
    - könnte man am Beispiel vieler junger Frauen, die ihre Kleinen mit dem Kinder- statt dem Geländewagen in die Kita bringen, auch das Hohelied dieser Mütter singen und dann nach der letzten Strophe den anderen die Luft aus den Reifen lassen.
    - könnte man am Beispiel von Zeitungen und Zeitschriften belegen, dass trotz hoher Qualität hohe Quoten erreichbar sind.
    - könnte man die Frage, warum es nur so wenige Beispiele guter Unterhaltung gibt, mit der Erkenntnis von Karl Kraus beantworten, wonach bei niedrigem kulturellem Sonnenstand auch Zwerge riesige Schatten werfen.
    Das Positive bleibt überall da greifbar nah, wo Gutes naheliegt. Es ist nicht nötig, in die Ferne schweifend den Nachtzug nach Lissabon zu besteigen und den Blöden kurz vor der Abfahrt ein letztes Mal auf die Köpfe zu schlagen, um sie Mores zu lehren, anständige Sitten. Mit verlockenden Ködern ließen sich bei klasse-losen Feinden erstaunliche Treffer erzielen, nicht nur, um sie zu versenken – das am liebsten, zugegeben -, sondern um sie so an den Haken zu nehmen und in Kulturbahnhöfe zu ziehen.
    Mit nur ein bisschen bösem Willen ist es immer machbar, Spaß zu haben und bei jeder Gelegenheit jeden erreichbaren Topf zu deckeln und sich danach zumindest mal wieder erhaben zu fühlen. Eine kleine Gemeinheit ist reizvoll wie ein
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