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Sehnsucht

Sehnsucht

Titel: Sehnsucht
Autoren: Wolfgang R. Hantel-Quitmann
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Lösungen
    Aus Sicht der modernen Psychologie träumen wir, um emotional bedeutsame Erlebnisse zu verarbeiten und zugleich alte, aktuelle und auch zukünftige Probleme und Konflikte zu lösen. Wir brauchen dazu unser Gehirn mit seinem Langzeitgedächtnis undauch die darin abgespeicherten bisherigen Lösungsstrategien. Wenn das Gehirn von äußeren Reizen unbeeinflusst ist, kann es seine volle Kapazität entfalten, um kreative neue Lösungen zu finden. Der Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Mertens drückt dies in einem Fazit so aus:
    Die meisten Arbeiten vor allem der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts konnten überzeugende theoretische und empirische Belege dafür erbringen, dass Träumen überwiegend der Lösung emotional bedeutsamer und konfliktträchtiger Ereignisse des Wachlebens gilt; ebenso konnten sie nachweisen, dass hierzu Inhalte des Langzeitgedächtnisses nach entsprechenden erfolgreichen Lösungsstrategien abgesucht werden und dass es bei dieser Suche zu einer Übereinanderlagerung von Problemlösungsmustern kommt, die sich als Verdichtung äußert und streckenweise befremdliche Neuschöpfungen entstehen lässt. Dennoch ist dieser Mustervergleich kein defensiver, sondern ein höchst kreativer Vorgang. 107
    Diese befremdlichen Neuschöpfungen können wahre Kunstwerke sein. So wird berichtet, dass Paul McCartney die Melodie zu Yesterday geträumt habe. Und es können kreative Problemlösungen sein, die im Wachzustand dann als Sehnsucht der Seele keine Ruhe mehr lassen. Aber dann haben wir ein neues Problem: Was machen wir, wenn wir bei diesem kreativen Vorgang mit den geträumten Problemlösungen immer wieder auf dieselben traumhaften Lösungen stoßen? Der erste Impuls wäre natürlich, diese in unseren Alltag zu übertragen, wenn sie denn auch der bewussten Überprüfung und Reflexion standhalten. Und wenn dies nicht möglich ist? Was machen wir, wenn diese traumhaften Lösungen keine Realisierungsmöglichkeit haben? Beispielsweise, weil sie die gesamte derzeitige Lebenswirklichkeit ins Wanken bringen würden? Dann erleben wir ein Dilemma: Die wiederholt geträumten Phantasien, Lösungen oder auch Ideen werden im Traum immer wieder für ideal befunden, immer wieder an der Realität überprüft und stets neu verworfen – und letztlich doch wieder geträumt. Was nachts im Traum so richtig und stimmig ist, das erscheint bei Tage als verrückt oder unmöglich. Ein innerer Kampf ist die Folge zwischen Traum und Realität, Wunsch und Wirklichkeit. Erlebt wird dieser Kampf als eine unlösbare Ambivalenz oder eine qualvolle Gefangenschaft. Wie er letztlich ausgeht ist sicherlich individuell verschieden, aber wir wissen, wovon das Ergebnis abhängt: von der Kraft und Energie, mit der die Sehnsucht ihre eigene Verwirklichung immer wieder aufs Neue einfordert. Manche Menschen finden ihre ganz persönliche Lösung in einem Kompromiss, andere verabschieden sich von ihrer Sehnsucht und betrauern sie, wiederum andere finden eine neue, bessere, manche bleiben ein Leben lang in ihrer Sehnsucht gefangen. Und dann gibt es noch diejenigen, die ihrer Sehnsucht folgen, auch wenn es ihr gesamtes Leben verändert.
    Wann soll der Mensch seiner Sehnsucht folgen und wann soll er sie aus vernünftigen Gründen verwerfen oder gar aufgeben? In der Regel würde ich empfehlen, mindestens eine Nacht darüber zu schlafen und viel Traumarbeit zu leisten. Aber es gibt auch andere, vielleicht noch bessere Möglichkeiten zur Entscheidungsfindung.

10.  
Wohin mit meiner Sehnsucht –
Ein kleiner Leitfaden für den Ernstfall
    Das Ich schützt sich durch die Realitätsprüfung.
    Freud
Abriß der Psychoanalyse, 1938
    Wer bestimmt eigentlich über unser Leben? Ist die Idee des autonomen Individuums nicht eine große Seifenblase, letztlich eine Illusion? Beginnt die Selbsttäuschung nicht schon mit dem Schicksal, das wir Eltern, Herkunft oder Heimat nennen? Werden wir nicht alle in das Leben hineingeworfen und müssen dann zusehen, wie wir damit klar kommen? Wäre es nicht zumindest tröstlich, wenn es irgendeine weltliche oder höhere Instanz gäbe, bei der wir uns über die Umstände und Bedingungen unseres Lebens beklagen könnten? Oder sind wir für alles allein verantwortlich?
    Und was ist mit den Alternativen in unserem Leben, wie andere Eltern, andere
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