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Sehnsucht

Sehnsucht

Titel: Sehnsucht
Autoren: Wolfgang R. Hantel-Quitmann
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von Ihrer Sehnsucht.
    Meine Sehnsucht will aber, dass ich schwach werde und ich glaube, ich will das auch. Mich zieht alles zu ihr hin, richtig körperlich. Und gleichzeitig weiß ich, dass eine Beziehung total unmöglich ist. Es ist ausweglos, aber ich sehne mich sehr nach ihr.
    Bevor Sie sich ganz dieser Sehnsucht hingeben, lassen Sie uns erst einmal versuchen, sie zu verstehen. Bitten Sie Ihre Sehnsucht, noch ein wenig zu warten und lassen Sie uns mit Ihren Gefühle und Phantasien beginnen. Schaffen Sie das?
    Der Klient antwortete mit einem langen Seufzer und dann brach es aus ihm heraus. Am Anfang seiner romantischen Liebeserklärung schwärmte er nur von seiner neuen Kollegin, danach kam er offener auf seine eigenen Gefühle und seinen quälenden und wiederkehrenden Wunschphantasien zu sprechen. Es dauerte viele Stunden, bis er seine Sehnsucht, die durch diese Frau ausgelöst worden war, besser verstand. Und die Hintergründe dieser tiefen Sehnsucht waren viel älter als seine akute Verliebtheit. Viele Menschen glauben, die Sehnsucht würde erst durch die Begegnung mit der geliebten Person entstehen, aber das stimmt nicht! Sie wird durch sie nur ausgelöst. In der Therapie ging es nicht nur um seine bisherigen Liebesbeziehungen, sondern auch um seine derzeitigen Wunsch- und zukünftigen Lebensträume. Seine Sehnsucht hatte viel mehr mit seinem eigenen Leben zu tun als mit der Frau, das hatte ihn erstaunt.
    Das Gefühl der Sehnsucht ist süß, hat aber in diesem Fall auch einen bitteren Beigeschmack, weil die Realisierung vollkommen unmöglich erscheint. Beide Partner sind verheiratet und haben Familie, eine Liebesbeziehung scheint von Beginn an ausgeschlossen. Nur in seinen Sehnsuchtsphantasien kann er mit ihr allein sein, ganz allein. Da stören keine Ehepartner und Familien, keine Arbeitsbeziehungen oder sonstige Realitäten. Die Sehnsucht hat ihn richtig geschmerzt, war aber dennoch intensiv und schön. Seine Frage nach dem Verhältnis von Gefühlen, Phantasien und Sehnsüchten beschäftigte mich noch eine ganze Weile. Bestehen zuerst Gefühle, die sich in Phantasien verwandeln und dann zu einer Sehnsucht werden? Oder entstehen zunächst Phantasien im Kopf, die dann mit Gefühlen besetzt werden und letztlich in eine Sehnsucht münden? Oder ist da zuerst eine Sehnsucht, die sich in Gefühlen und Phantasien bemerkbar macht und die betroffene Person wie ein Virus infiziert? Der Weg vom Gefühl zur Phantasie scheint der Normalfall zu sein.
    Vom Gefühl zur Phantasie
    Gefühle werden nicht immer von Phantasien begleitet, aber wenn dies so ist, dann haben sie meist etwas miteinander zu tun. Wenn wir uns betrogen, hintergangen oder auf andere Weise absichtlich geschädigt fühlen, dann werden Gefühle von Ärger, Wut und Zorn ausgelöst, die sich in der Realität, aber auch in der Phantasie Luft verschaffen können. Ob man gleich zum körperlichen Angriff übergeht oder die Wut nach einigen Rachephantasien wieder verflogen ist, hängt vom Temperament der betroffenen Person und ihrer Impulskontrolle ab. Wer seine Impulse im Griff hat, wird den Weg der Phantasie wählen. Hier kann die Phantasie dazu beitragen, starke Gefühle wieder abklingen zu lassen.
    Wenn wir durch einen Unfall plötzlich einen geliebten Menschen verlieren, dann werden unsere Trauergefühle von Wunschphantasien begleitet, in denen der geliebte Mensch noch lebt. Da werden nicht nur Szenen des Lebens noch einmal geträumt, manchmal wird auch noch etwas getan oder gesagt, wozu man nicht mehr gekommen ist. Hier ist eindeutig ein Sehnsuchtsgefühl beteiligt, das sich die verlorene Person zurückwünscht. Das Gefühl des Trauerns über den Verlust ist die Voraussetzung für die Sehnsucht, aber ohne die Phantasie hätten die Trauer und die Sehnsucht keine Bilder und damit weniger Kraft. Je tiefer die Trauer ist, desto besser kann sie verarbeitet werden. Insofern ist die Phantasie für den Trauerprozess sehr wichtig.
    Wenn wir uns gegenüber unseren Kindern ungerecht verhalten haben, wir sie beispielsweise für etwas bestraft haben, was sie gar nicht getan haben, dann entstehen Scham- und Schuldgefühle, für die wir uns in unserer Phantasie entschuldigen können. Hier hat die Phantasie eine wichtige Funktion, weil sie uns ein Probehandeln ermöglicht: In der Phantasie üben wir erst einmal, wie es sich anfühlt, sich bei den
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