Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Liv Winterberg
Vom Netzwerk:
Flusskrebse.
    Flusskrebse!
    Sie ließen den Zorn in Bérénice wieder aufflackern. Unzählige von ihnen, zur Bourbonenlilie geformt, hatten das Schaustück der Speisen gebildet. Vier Männer waren vonnöten gewesen, um das Kunstwerk hereinzutragen. Ja, es war ein Kunstwerk gewesen. Eines, das jeden der Gäste daran erinnerte, dass Amédé de Troyenne von König Karl VII. die Ehre verliehen bekommen hatte, die königliche Lilie im Wappen zu tragen. Wir sind ein königstreues Haus, das war die Botschaft an die Gäste. Wer es noch immer mit den Engländern hielt, der sollte an diesem Abend seine Worte mit Bedacht wählen.
    Amédé beugte sich zu Francine, die zu seiner Linken saß, und lauschte ihren Worten. Bérénice konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen, aber beide lachten, und es war offensichtlich, dass sich ihre Schwester wie auch ihr Mann schon eifrig am Wein bedient hatten. Francine schaute an Amédé vorbei, schenkte ihr ein Lächeln, das die Augen nicht erreichte. Bérénice wandte den Blick ab. Soll sie doch ersticken an den Flusskrebsen, dieses Aas.
    Eine der Mägde eilte vorbei. Bérénice gab ihr ein Zeichen, dass sie noch einen Schluck Wein wünschte, und konzentrierte sich dann auf den ersten Basse danse, einen der Tänze aus dem Hause Burgund. In Reihen schritten die Paare Hand in Hand, verneigten sich nach rechts, verneigten sich nach links, ließen sich los, liefen einen Kreis und begegneten einander wieder.
    »Schwesterherz, darf ich dir Pater Bertrand, der die Schlosskapelle leiten wird, vorstellen?«
    Anscheinend war Francine nicht an den Flusskrebsen erstickt. Vielmehr stand sie neben ihr, tief vorgebeugt, und hauchte ihr säuerlichen Atem ins Gesicht. Seufzend erhob Bérénice sich. Ein neuer Pater für die Kapelle, wieder ein hungriger Wanst mehr, der durchgefüttert werden muss. Was interessiert mich das heute? Hat das nicht Zeit bis morgen?
    Sie erstarrte fast, als sie sich zum Pater umdrehte.
    Ein junges Gesicht. Ein sehr junges und überaus anmutiges Gesicht. Ein wohlgeformter Leib und auffällig feingliedrige Hände. Als er das Wort an sie richtete, perlte der Inhalt seiner Sätze an ihr ab.
    Gab sie etwa Antwort?
    Ja, sie sprach.
    Und lachte.
    Jetzt, da sie sich von ihrem Platz erhoben hatte, spürte sie es: Sie hatte ebenfalls zu viel des guten Weines getrunken. Ein wohliger Schwindel erfasste sie, oder war es die weiche Stimme, vielleicht die elegante Ausdrucksweise des Paters, die sie so einlullte?
    »Ich dachte mir«, flüsterte Francine und blies ihr erneut ihren stinkenden Atem ins Gesicht, »dass du erfreut sein wirst, unseren neuen Seelsorger kennenzulernen.« Sie legte die Hand auf den Oberarm des Paters und führte ihn weiter.
    Da ging sie hin, die Witwe im schwarzen Gewand, das sie zum Zeichen der Trauer trug um einen Mann, der, dreiundzwanzig Jahre älter als die Braut, zwei Wochen nach der Hochzeit einem Fieber erlegen war. Sechs Monate lag dieser Abschied zurück, und noch immer folgte Francine dieser neu aufgekommenen Angewohnheit, ihre Trauer mit schwarzen Gewändern zur Schau zu stellen. Eine Trauer, die es nie gegeben hatte, die ihr aber die mitfühlende Aufmerksamkeit ihres Umfeldes einbrachte. Wie eine schwarze Spinne sah sie aus, deren Beute bereits im Netz hing.
    Bérénice schüttelte den Kopf ob des sonderbaren Vergleichs und sah sich um. Wohin war eigentlich Amédé verschwunden? Nicht dass er bemerkte, dass der neue Leiter der Kapelle auch ihr Wohlwollen erregte. Und sie brauchte Wasser. Dringend ein Glas Wasser.

Saint Mourelles
    I ch muss ihr die Wahrheit sagen.
    Ich muss ihr heute die Wahrheit sagen. Nein, ich muss ihr jetzt die Wahrheit sagen.
    Mit jedem Schritt durch den Schnee fühlte Mathis sich elender, obwohl das Bein endlich einmal nicht schmerzte. Aber wie auch immer er sich fühlte, es gab keinen besseren oder schlechteren Moment, Catheline die Wahrheit zu offenbaren. Dass er die Erlaubnis, sie zu heiraten, nicht beim Baron einholen würde. Dass es keine Trauung, kein Fest im frühlingswarmen Mai geben würde, so wie sie es sich erträumt hatten. Kein trautes Heim, kein gemeinsames Lager, keine Finger, die seine Haut zum Glühen bringen würden. Sie hatte etwas Besseres verdient als einen Einbeinigen.
    Einen Mann.
    Einen Mann, der mit ihr gemeinsam Kinder aufziehen und durchbringen konnte. Einen Mann, der in der Lage war, seine Familie zu verteidigen. Einen Mann, wie er selbst einer gewesen war. Die Erinnerung, er suchte und fand sie.
    Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher