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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Liv Winterberg
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und verlor fast das Gleichgewicht.Eine Hand, die gerade noch rechtzeitig nach ihr griff, bewahrte sie vor dem Sturz. Dankbar sah sie auf.
    Amédé stand neben ihr und lächelte. »Durch das geschäftige Treiben ist der Schnee so glatt getreten, dass man kaum vorankommt. Ich habe angewiesen, dass er entfernt wird, bevor die Gäste kommen. Nicht, dass irgendwer Schaden nimmt.«
    Bérénice nickte und schaute zu Boden. »Gut, dann werde ich mich vorsehen. Ich war auf dem Weg in die Gastgemächer, um zu prüfen, ob alles vorbereitet ist.« Erneut raffte sie ihr Kleid und versuchte, sich an Amédé vorbeizudrängen.
    »Warte, darf ich dich aufhalten? Nur kurz, ich möchte dir etwas zeigen.« Er trug seine durchgeknöpfte blaue Schecke mit einem Stehkragen, und wieder bemerkte Bérénice, dass es sonderbar war – die Farbe seiner Augen schien mit der Kleidung, die er trug, zu wechseln. Mal waren sie taubengrau, mal kieselsteingrau und am nächsten Tag dunkelblau.
    Noch während sie ihren Gedanken nachhing, führte Amédé sie in Richtung des Saales, in dem am Abend das Fest stattfinden würde. Sanft lag seine Hand auf ihrem Unterarm. Sie zögerte, zog ihren Arm dann aber zurück und gab vor, sich die kalten Hände reiben zu müssen.
    Amédé öffnete die Tür. »Es ist bereits gefeuert, das wird dich wärmen«, sagte er leichthin, doch Bérénice glaubte einen spöttischen Unterton herauszuhören. Als er einen Stuhl ergriff und ihn in der Nähe des Feuers platzierte, ihr den Umhang abnahm, um ihn zum Trocknen aufzuhängen, beobachtete sie ihn aufmerksam.
    »Schließ die Augen«, bat er sie.
    Bérénice tat ihm den Gefallen und hörte, dass eine Truhe geöffnet wurde. Ein leises Rascheln folgte. Unruhe breitete sich in ihr aus.
    »Öffne die Augen wieder.«
    Der Seidenstoff des Kleides hatte einen moosgrünen Ton, der dunkel schimmerte. Das kurze Jäckchen war aus einem schweren Brokatstoff geschneidert, der eine Nuance heller gehalten und rundum mit Kaninchenfell verbrämt war. Leuchtend setzte sich der helle Pelz von den Grüntönen ab. Das Oberteil des Kleides war eng geschnitten, während der Rock in einer Schleppe auslief. Den Hennin, aus dem gleichen Seidenstoff wie das Kleid gefertigt, schmückte ein Schleier, der ihr den Rücken hinabfallen würde. Ein Gürtel, mit Perlen und Goldfäden bestickt, rundete das Kleid ab. Bérénice bewunderte für einen Moment Amédés Geschmack.
    »Es ist am Morgen aus Nantes geliefert worden. So etwas trägt man am Hofe Burgunds«, sagte er und schaute an ihr herab. Musterte das schlichte Samtkleid und das einfache Gebende mit Haarnetz, das sie für die Arbeiten am Vormittag angelegt hatte. »Du hast dir so wenig gegönnt in letzter Zeit.«
    Seine Maßlosigkeit nahm immer schlimmere Züge an: die ausufernden Bauarbeiten am Schloss, die Vorbereitungen für das Fest, die Speisen und Getränke – und nun das Kleid. Es musste ein Vermögen gekostet haben.
    Bérénice erhob sich. »Bitte, komm mit mir«, sagte sie, winkte ihn ans Fenster und öffnete es.
    Vor dem Schloss war das Treiben fast noch dichter als im Hof. Spielleute waren dabei, ihr Lager aufzuschlagen, und wurden von den Männern der Garde
     weggedrängt, die versuchten, die Zufahrt zum Schloss frei zu halten. Fliegende Händler boten ihre Waren feil, Tagelöhner standen in Reihen, um bei
     niederen Tätigkeiten in der Vorbereitung des Festes zur Hand gehen zu können. Erste fahrende Frauen waren angekommen und tänzelten Hüften schwingend
     durch die Menge. Ein wenig abseits sah man an mehreren Feuern Bettler hocken. Auch die jämmerlichsten Geschöpfe der Umstände dieser Zeit wareninzwischen eingetroffen: Kinder. Verwaiste Kinder, die sich in Banden zusammenschlossen und umherzogen – Kinder, die bettelten und stahlen, um zu überleben.
    Darum geht es jetzt nicht, rief sie sich zur Ordnung, konzentriere dich. »Sieh dort«, sie zeigte auf die Wagenkolonne der Händler, »sie stehen seit Stunden.«
    »Ja, es soll uns an nichts mangeln«, sagte Amédé und lächelte.
    Erst jetzt bemerkte Bérénice die Schatten unter seinen Augen, sah, dass seine Haut fahl war. Er schläft wieder nicht, dachte sie. Ihr Schweigen schien ihm Aufforderung zu sein, fortzufahren.
    »Wenn du dich um die Händler sorgst, lasse ich ihnen zum Aufwärmen eine Suppe reichen. Du wirst staunen, was sie alles anliefern – das wird ein Fest. Ich habe an alles, einfach an alles gedacht.«
    »Hast du auch daran gedacht, wie wir all das
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