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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Liv Winterberg
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gelaufen und hatte mit sich gerungen, ob sie nicht abreisen sollten. Nach Gut Lemoine. Weg aus Nantes. Weit weg.
    Als die Glocken zu läuten begannen, hatte sie geseufzt, sich offenbar ihrem Schicksal ergeben und sich tief verschleiert mit Jola auf den Weg gemacht. Abseits der Prozession waren sie zur Biesse-Wiese rechtsseitig der Loire gelaufen, wo schon aus weiter Ferne die beiden Galgen erkennbar waren. Auf einer leichten Anhöhe errichtet, erhoben sie sich dunkel in den weißgrau verhangenen Himmel, direkt daneben waren die beiden Scheiterhaufen aufgeschichtet.
    Jola schob sich an einer Handvoll Männer vorbei, die allesamt betrunken waren und den Eindruck erweckten, als wären sie direkt aus einer durchzechten Nacht zur Hinrichtung aufgebrochen. Ein Mann auf dem Scheiterhaufen, eine der ehemals großen Lichtgestalten, die an der Seite des Königs gestanden hatte. Wann wird es so etwas je wieder zu sehen geben? Eine Reihe guter Gründe, sich auch betrunken hierherzubegeben, dachte Jola angewidert und überhörte die anstößigen Bemerkungen. Sie drängte sich weiter, ging dann auf die Zehenspitzen und sah zur Tribüne hinauf. Sie war eigens errichtet worden, dicht neben dem Galgen, um denen, die es sich leisten konnten, einen hervorragenden Blick auf das bevorstehende Spektakel zu bieten.
    Dort saß die Baronin nun, verschleiert, in schlichtem Gewand, durch nichts als die Frau des Mannes zu erkennen, der heute mit seinem Helfer hingerichtet werden sollte. Den Rücken stocksteif, die Hände im Schoß geschlossen, eingekeilt zwischen den wohlhabenden Bürgern Nantes’.
    Jola sah die Prozession den Hügel heraufkommen. In das Glockengeläut, das auch vor den Toren Nantes’ noch deutlich zu vernehmen war, mischte sich nun der Gesang. Tausende von Stimmen zu einer verschmolzen, wechselten von Gesang zu Gebet und wieder zum Gesang. Eintönig und dennoch berauschend. Der Menschentraube voran schritt der Scharfrichter mit seinen Bütteln, ihm folgten die beiden Verurteilten.
    Kahl geschoren und barfuß.
    Man hätte ihnen die Hände und Füße verbinden und sie den Weg hinaufstoßen können, dachte Jola erstaunt und musterte die Schaulustigen, die sich nun um den Galgen drängten. Sie könnten auf die beiden einprügeln, sie könnten sie schmähen und mit Steinen bewerfen. Doch nichts von alledem geschieht. Die Männer weichen zurück, die Frauen senken ihre Häupter, sie blieben ruhig und verhalten sich fast feierlich. Ob das noch ein wenig von Johannas Geist ist, der hier und heute über das Ufer der Loire weht? Ob die Menschenmenge ihm zugutehält, dass er sie begleitet hat? Der Franzosen liebstes und so schändlich verratenes Kind?
    Der Baron kam in ihr Blickfeld. Friedlich sah er aus, fast erleichtert. Man hatte ihm angeboten, die Hinrichtung in aller Stille vollziehen zu lassen, hatte die Baronin erzählt. Jola spürte tief in ihrem Bauch die Zuneigung aufflackern, die sie früher für ihn empfunden hatte. Er hatte sich für diesen letzten Weg entschieden, für eine öffentliche Buße.
    »Ist der König erschienen?«, wisperte eine Frau, die hinter Jola stand, ihrem Mann zu.
    Der schüttelte den Kopf. »Warum sollte er?«, fragte er unwirsch.
    »Na, er hat das Begnadigungsrecht, der König dürfte ihn vom Strick losschneiden«, gab die Frau patzig zurück. Ihr Mann beließ es bei einem verächtlichen Schnauben als Antwort.
    Jola überlegte, ob sie der Frau, die von ihrem Mann so wortkarg abgespeist worden war, weitergeben sollte, was Bérénice ihr erklärt hatte: dass der König die Praguerie niedergeschlagen, also den Kampf für sich gewonnen hatte und nun auf dem Rückweg nach Paris war. Doch in diesem Augenblick trat der Bischof vor und hob die Arme in die Höhe. »Der letzte Wunsch des Angeklagten ist, dass das Volk gemeinsam für ihn und seinen Gefährten bei Gott um Vergebung für ihre verirrten Seelen bittet«, rief er.
    Die Köpfe um Jola herum wurden gesenkt, Hände zum Gebet geschlossen. Nur ihr Blick huschte zur Baronin, die immer noch aufrecht saß, so als hätte sie sich nicht einmal während der Ankunft der Prozession bewegt.
    Nach dem Gebet wurde Amédé de Troyenne vom Scharfrichter zum Galgen gebracht und bekam den Strick um den Hals gelegt.
    Seine Lippen bewegten sich.
    Die Augen geschlossen, nickte er.
    Das Seil ruckte, und der Baron baumelte am Strick. Im Gesang, den der Bischof anstimmte, gingen vereinzelte Schreie von umstehenden Frauen und Kindern unter.
    Während der Hauptmann gehängt
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