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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod
Autoren: Ann Cleeves
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Von hier oben aus konnte sie die faltigen Hälse und die Schwabbelarme sehen; sie schaute hinunter auf die gefärbten Haare, die Scheitel, an denen die Farbe langsam herauswuchs.
    «Ich bin Inspector Vera Stanhope von der Polizei Northumbria.» Als sie aufblickte, sah sie Joe Ashworth mit einem Mann im Anzug, von dem sie annahm, dass er zur Hotelleitung gehörte, aus den Umkleiden kommen. Er war sogar noch schneller gewesen, als sie erwartet hatte. «Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass es einen unerwarteten Todesfall im Club gegeben hat. Ich möchte Sie um Ihre Mithilfe in der Sache bitten. Bitte gehen Sie zu den Umkleideräumen. Sobald Sie angezogen sind, warten Sie bitte kurz in der Lounge, bis wir ein paar Auskünfte von Ihnen aufgenommen haben. Wir werden versuchen, Ihnen so wenig Unannehmlichkeiten zu bereiten wie nur möglich, aber es kann sein, dass wir noch einmal Kontakt mit Ihnen aufnehmen müssen.» Sie schaute über das Becken zu Ashworth und dessen Begleiter. Beide nickten, um zu zeigen, dass auch sie verstanden hatten, was sie von ihnen erwartete.
    Langsam leerte sich der Pool. Alle waren neugierig und aufgeregt. Wie ein Rudel Schulkinder, dachte Vera. Zumindest würde sich niemand über die Warterei beschweren, bis die Aussagen aufgenommen waren. Sie hatten alle viel zu viel Zeit und nicht genug Aufregung in ihrem Leben. Schwer zu glauben, dass einer von ihnen vielleicht ein Mörder war.
    Ashworth kam um das Becken herum zu ihr, gefolgt von dem Mann im Anzug. Der Fremde war jung und beflissen, klein, federnd und kugelig. Sie hatte erwartet, die Hotelleitung könne sich querstellen: Mord war vielleicht nicht so gut fürs Geschäft; aber der Mann hier schien genauso aufgeregt zu sein wie die Rentner im Pool. Er wippte auf den Fußballen und rieb die Hände aneinander. Auf Vera machte es den Eindruck, als würde er sich ausmalen, was für eine tolle Geschichte er seiner Süßen erzählen konnte, wenn er heute Abend nach Hause kam, und dass sein Bild hoffentlich in den lokalen Fernsehnachrichten gezeigt würde. Heutzutage hoffte eben jeder auf seinen persönlichen Augenblick des Ruhms.
    «Das ist Ryan Taylor», sagte Ashworth. «Stellvertretender Geschäftsführer.»
    «Kann ich irgendetwas für Sie tun, Inspector?»
    «Aye. Organisieren Sie Tee und Kaffee. Reichlich Tee und Kaffee, und servieren Sie das in der Lounge. Mit ein paar Keksen. Und Sandwiches. Wir werden die Leute lange warten lassen müssen, und es ist schon Zeit fürs Mittagessen. Wir sollten sie bei Laune halten.»
    Taylor zögerte.
    «Sie müssen es Ihnen nicht umsonst geben», sagte sie, denn sie erriet, was er dachte. «Die Beiträge hier sind so hoch, da machen die Leute auch noch ein paar Kröten für einen anständigen Kaffee locker.»
    Sein Gesicht hellte sich auf. Der Tod einer fremden Frau stellte keine allzu große Tragödie für ihn dar, dachte Vera. Er sah eher eine Gelegenheit, das Hotel ins Gespräch zu bringen. Sie hatte erwartet, dass er sie jetzt allein lassen würde, aber er trat nur ein paar Schritte beiseite und sprach in das Walkie-Talkie, das er an seinem Gürtel trug.
    Lisa stand immer noch vor der Tür des Dampfbads. Sie sah blass aus. Vera fragte sich, ob sie wohl hineingeschaut hatte. Bei einem so jungen Mädchen hätte Vera eher eine Reaktion wie die des Hotelleiters erwartet. Der Tod kam ihr doch bestimmt noch ganz unwirklich vor. Mehr wie der Auftakt eines Fernsehkrimis.
    «Haben Sie irgendetwas angefasst?», fragte Vera. «Das wäre kein Problem. Aber Sie müssen es mir sagen, wegen der Fingerabdrücke. Sie wissen schon.» Doch sie würden nur außen auf der Tür Fingerabdrücke finden, dachte sie. Drinnen mit dem ganzen Dampf war es völlig aussichtslos. Das Pulver für die Fingerabdrücke würde sich nur in Brei verwandeln.
    Schließlich sagte Lisa mit dünner, ängstlicher Stimme: «Nein, ich habe nichts angefasst.»
    «Geht’s Ihnen gut, Herzchen?»
    Die junge Frau riss sich sichtlich zusammen und lächelte. «Ja, klar.»
    «Haben Sie schon den ganzen Tag hier Dienst?»
    «Seit acht Uhr morgens.»
    Vera zog sich ein Paar Latex-Handschuhe an. Die hatte Joe ihr vorhin gegeben. Joe war ein richtiger Pfadfinder, allzeit bereit. Als sie auf ihre Finger sah, fiel ihr der alte Mann mit der Badekappe wieder ein. Ob sie ihn wohl erkennen würde, wenn er seine Hose anhatte? Vielleicht ja nicht. Sie machte die Tür zum Dampfbad auf. «Werfen Sie ruhig einen Blick hinein», sagte sie. «Keine Sorge. So
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