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Seelenasche

Titel: Seelenasche
Autoren: Vladimir Zarev
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mit näselnder Stimme. »Soll sofort zur Direktorin kommen.«
    Die Ilieva empfing ihn mit der Ehrwürde einer Äbtissin, die zugleich an Gott und an den Sozialismus glaubte. Sie war eine Frau, die sich jedwedem höheren Befehl zu unterwerfen bereit war, die aber auch selbst Befehle zu erteilen und andere zu bestrafen begehrte. Indem sie bei Christos Eintreten Kaffee aus dem türkischen Stieltöpfchen in die Tasse vor dem Unbekannten goss, wies sie ihren Schüler hin auf den, mit dem er es gleich zu tun haben würde.
    Â»Christo, der Genosse hier möchte mit dir sprechen«, sagte sie. Dann wandte sie sich mit ergebenem Blick an den Genannten: »Ich lasse Ihnen drei Päckchen Zucker da.«
    Â»Oh, Sie verwöhnen mich …« Da hörte er sie zum ersten Mal, diese Stimme voller Überdruss. Noch konnte er das Gesicht des Mannes nicht erkennen. Noch war es nur eine undeutliche Silhouette in einer Garbe gleißenden Sonnenlichts; doch er spürte schon, dass das, was ihm jetzt widerfahren würde, etwas Einschneidendes war, für das man sich ein Leben lang schämte wie für starken Körpergeruch.
    Â»Und? Sind Sie einverstanden?«, riss Major Grigorov ihn aus seinen Gedanken.
    Sein Wunsch, sofort aufzustehen und demonstrativ das Dienstzimmer der Direktorin zu verlassen, mischte sich mit dem Horror davor, dann in die Mathematikstunde zurückzumüssen. Der Schweiß, der ihm von der Stirn rann und unter den Achseln klebte, roch süß-säuerlich nach dem dickflüssigen Weizentrunk aus der Pause – und nach der Todesangst des Tiers, das in der Falle steckte.
    Â»Wir wenden uns an Sie, weil Ihr Großvater Christo Assenov Weltschev einer der Organisatoren des Septemberaufstandes in der Widiner Gegend war«, sagte Grigorov und stieß (was eine effektvolle Pause ergab) matt lächelnd ein paar Rauchwölkchen aus, »und Ihr Vater, Alexander Weltschev, ist unser Genosse, Jura-Professor an der Sofioter Universität, und Eleonora Weltscheva« (war es Zufall oder Absicht, dass er sich mit dem Namen seiner Mutter vertat?) »ist Rechtskonsultantin bei ChimImport … Verstehen Sie: Wir und Sie kommen aus demselben Stall.«
    Nach diesen Worten reihte er geschickt noch einige graue Rauchkringel aneinander und verlieh auf diese Weise seiner Geringschätzung für den ganzen Rest der Welt Ausdruck. Und als Christo gerade absagen oder vielmehr darum bitten wollte, die Sache doch bis nach dem Abitur aufzuschieben, da richtete Grigorov, der die Absichten des Jungen und sein Verlangen spürte, einmal an einer echten West-Zigarette zu ziehen, seine aufmerksamen, aber trüben und trägen Augen auf ihn und sagte mit perfektem Timing:
    Â»Stecken Sie sich ruhig eine an. Ich bin ein Mensch mit modernen Ansichten. Außerdem: Mein missratener Sohn ist erst in der Neunten und raucht schon …«
    Christo sog den Rauch so gierig ein, dass er erst beinahe husten musste, dann durchflutete ihn segensreich die Erleichterung, und er hörte sich sagen mit einer Stimme, als wäre er ein anderer:
    Â»Gut, Genosse Grigorov.«
    Â»Na dann, mein Junge«, sagte der Mann mit unverändert freudloser Stimme, »morgen wird Leutnant Petrov sich bei dir melden. Ihr werdet euch in einem Quartier auf der Biglastraße treffen. Dort wird er dir alles Nötige erklären.«
    Mit einer an Geringschätzung kaum zu überbietenden Geste trank Major Grigorov seinen Kaffee aus und seufzte. »Denk dir schon mal ein Pseudonym aus.«
    Â»Pseudonym?«
    Â»Alle unsere Informellen Mitarbeiter stehen unter Geheimhaltung und werden unter einem Tarnnamen geführt.«
    Â»John Lennon«, stieß Christo spontan aus und wurde rot.
    Â»Ich hätte dir zwar Boiko oder Janko vorgeschlagen«, lachte Grigorov dröhnend, »aber John Lennon geht auch. Ich bin, wie gesagt, ein Mensch mit modernen Ansichten.«
2
    Dieser Traum quälte ihn nun schon seit Jahren und gehörte inzwischen so sehr zu ihm wie sein Kleinmut. Christo wollte sich endlich von ihm befreien, daraus erwachen, doch selbst im Schlaf wusste er, dass dieses fiese Gespräch im Zimmer der Schuldirektorin wirklich stattgefunden hatte, denn er träumte Einzelheiten, die man sich nicht einfach so ausdenken konnte, und die sich umso bedrohlicher aufluden, als er sie um jeden Preis vergessen, ausradieren, abwaschen wollte, ja, abwaschen wie peinlichen Körpergeruch.
    Wann hatte
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