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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht
Autoren: Steven Erikson
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geholfen, als sie sich um Binadas gekümmert hatte, der immer noch bewusstlos war und es bleiben würde, bis er vollkommen geheilt war. Abgesehen von den Eltern des Imperators waren von seinem inneren Zirkel nur eine Hand voll seiner adoptierten Brüder – Choram Irard, Kholb Harat und Matra Brith  – anwesend. Die Buhns waren nirgends zu sehen, genauso wenig wie B’nagga, der Kriegshäuptling der Jheck.
    Außer den erbärmlichen Überresten von Königin Janall und Prinz Quillas waren noch zwei andere Letherii anwesend. Triban Gnol, der Kanzler, war bereits vor Rhulad niedergekniet und hatte ihn seiner ewigen Dienste versichert. Doch es war der andere Letherii, der wieder und wieder Federhexes Aufmerksamkeit auf sich zog. Turudal Brizad, der Galan der Königin, machte den Eindruck, als wäre ihm alles, was er hier im Ewigen Domizil miterlebt hatte, so gut wie gleichgültig.
    Und er sah gut aus, er sah außerordentlich gut aus.
    Mehr als einmal hatten sich ihre Blicke gekreuzt, und selbst über diese Entfernung hatte sie in seinen Augen ein gewisses leidenschaftliches Interesse entdeckt, das ein Beben durch ihren Körper geschickt hatte.
    Sie hielt sich einen Schritt hinter Uruth, ihrer neuen Gebieterin, stets aufmerksam gespannt, während Kommandanten mit ihren unwichtigen Berichten kamen und gingen. Kämpfe hier, ein Ende der Kämpfe da, die Docks gesichert. Der erste Abgesandte aus den Protektoraten wartete in der zerstörten Eingangshalle gespannt auf eine Audienz.
    Das Imperium wurde geboren.
    Und sie war Zeugin gewesen, nein, mehr als nur Zeugin. Da war das Messer gewesen, das Mayen in die Hand gedrückt worden war, und dann hatte sich die Nachricht verbreitet, dass sie gefunden worden war. Tot. Federhexe würde sich niemals mehr unter ihrer Wut ducken müssen. Die Hure war tot.
    Rhulads erster Befehl war gewesen, die Jagd zu eröffnen. Auf Udinaas. Jedem adoptierten Bruder war eine Kompanie Krieger mitgegeben worden, und dann waren sie ausgeschickt worden, um den Sklaven zu suchen. Die Suche würde unbarmherzig sein, das wusste sie, und am Ende würde Udinaas gefangen genommen werden. Und dann würde er für seinen Verrat bezahlen müssen.
    Sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Aber einmal – und nur ein einziges Mal, danach war er schnell vertrieben worden – war ein Wunsch in ihr aufgeflackert, eine Hoffnung, ein inbrünstiges Gebet an den Abtrünnigen, dass Udinaas entkommen möge. Dass er niemals gefunden werden möge. Dass zumindest ein Letherii diesem Imperator die Stirn bieten, ihn besiegen sollte. Dass er Rhulad dadurch, dass er ihm diese Niederlage beibrachte, erneut das Herz brechen sollte.
    Die Welt hat die Luft angehalten … und atmet jetzt wieder. So gleichmäßig wie immer, in einem Rhythmus, der so ungebrochen ist wie der der Gezeiten.
    Durch die geschickt geschnittenen, hoch in der Kuppel über ihrem Kopf angebrachten schmalen Fenster konnte sie sehen, dass es dunkler wurde, und sie wusste, dass die Sonne unterging und dieser Tag bald zu Ende sein würde.
    Ein Tag, an dem ein Königreich erobert worden war, und ein Tag, an dem das, was erobert worden war, mit der unausweichlichen Zerstörung der Eroberer begann.
    Denn das war der Rhythmus dieser besonderen Gezeiten. Jetzt, mit dem Heraufziehen der Nacht, wenn die Schatten länger wurden, und das, was von der Welt noch übrig war, sich abwandte.
    Denn das glauben doch die Edur, oder? Bis Mitternacht ist alles abgewandt, stumm und reglos. Wartet auf die letzte Flut.
    Auf dem Thron saß Rhulad Sengar, in Lethers Gold gehüllt, und das ersterbende Licht glühte in seinen verhüllten Augen. Verdunkelte die Flecken auf dem Schwert, das er, mit der Spitze auf dem Podest abgestellt, in seiner rechten Hand hielt.
    Und Federhexe, die die Augen nach jenem kurzen Blick wieder niedergeschlagen hatte, wie es verlangt wurde, sah einen abgetrennten Finger in einer Fuge des Podests liegen. Klein wie der eines Kindes. Sie starrte ihn fasziniert an, erfüllt von dem rasch aufkeimenden Wunsch, ihn zu besitzen. Schließlich lag Macht in solchen Dingen. Eine Macht, die eine Hexe nutzen konnte.
    Vorausgesetzt, die Person, der der Finger gehört hatte, war wichtig gewesen.
    Nun, das werde ich schon noch herausfinden.
    Düsternis senkte sich über den Thronsaal. Jemand würde Laternen entzünden müssen, und zwar bald.
     
    Sie hatte den Raum nicht verlassen. Dazu hatte es keine Veranlassung gegeben. Sie hatte nur dagesessen, reglos, leer, taub
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