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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Ekman
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durchgeblättert hat, ist es endlich kurz vor elf.
    Ein Mann in absolut undefinierbarem Alter sieht von seinem Kaffeebecher auf, als die Ladenglocke bimmelt und Lillemor das Antiquariat betritt.
    »Ja?«, sagt er.
    Ganz offensichtlich hat er von Babba gelernt, dass es läppisch ist, höflich zu sein.
    »Ich suche die Inhaberin«, sagt sie.
    »Sie ist nicht da.«
    Dann wendet er sich völlig desinteressiert wieder dem vor ihm liegenden Comicalbum zu. Sie weiß, dass es Comics für Erwachsene gibt. Dieser Typ ist mehr als erwachsen. Er hat einen Pferdeschwanz und graue oder fast graue Haare; Gesicht und Körper sind hager.
    »Ich möchte nur ihre Adresse haben«, sagt Lillemor.
    Jetzt hebt er tatsächlich den Blick. »Wenn Sie sich über irgendwas beschweren wollen, können Sie das hier tun«, sagt er und blättert in dem Comicalbum weiter.
    Sie fragt sich, wie viele solcher Figuren Babba seit den Zeiten des alten Apelgren schon eingestellt hat. Sie erinnert sich noch an den Ersten. Er war, bevor er in den Laden kam, Schleusenwärter an der Hammarbyschleuse gewesen und dort für die Brückenöffnungen zuständig, wobei er in seinem Wärterhäuschen viel Zeit zum Lesen hatte. Wenn sie ins Antiquaritat kam, um mit Babba ein kürzeres Manuskript, einen Vortrag für die Buchmesse oder eine Präsentation für die Verlagsvertreter durchzugehen, sah sie unter den Kunden öfter Typen dieses Schlags.
    Einmal hatte sie in ihrer Wohnung in der Breitenfeldsgatan einen Wasserschaden, und nachdem die Handwerker fort waren, musste sie eine Reinigungsfirma mit dem Saubermachen beauftragen. Die Betreiberin der Firma, eine kräftige Jugoslawin, war mit zwei Mitarbeitern gekommen. Sie waren von genau demselben Schlag wie dieser pferdeschwänzige, ergraute Kauz. Mit großer Sorgfalt staubten sie ihre Bücher ab und unterhielten sich mit ihr darüber. Lillemor erinnert sich vor allem an den einen, der Robert Musils Mann ohne Eigenschaften schätzte und mit ihr darüber diskutieren wollte. Sie weiß noch, dass er etwas von moralischen Ereignissen in einem Kraftfeld sagte, sie ihn aber nicht verstand. Er hatte tatsächlich geduldig und ohne zu zögern eine Stelle in diesem vierbändigen Werk nachgeschlagen, das sie nie zu Ende gelesen hat. Wie hätte sie, als sie im Nobelkomitee saß, die Zeit haben sollen, tote Autoren zu lesen?
    Sie war geflohen, doch der Typ mit dem Pferdeschwanz hatte an der Stelle ein Lesezeichen ins Buch gelegt, und sie hatte sie mal aufgeschlagen, aber auch dann nicht begriffen. Sie fragte ihre Kollegen in der Akademie, ob sie diese Art Menschen kannten, eindeutig vorwiegend Männer. Einer der älteren meinte, das seien Quasiintellektuelle, die habe es schon immer gegeben. Und ein jüngerer meinte, das intellektuelle Leben spiele sich heute in allerlei Nischen ab. Das machte ihr die Sache nicht begreiflicher. Es war im Gegenteil ein erschreckender Gedanke, dass es Horden junger Männer gab mit Ring im Ohr, kahlem Schädel oder Haaren, die mit einem Gummiband zu einer mageren Peitsche zusammengefasst waren, und die also eine Art Intellektuelle sein sollten. Man hatte keine Ahnung, was sie trieben. Wenigstens ist der Putzmann, der ihr Bücherregal abgestaubt hatte, nicht so feindlich gewesen wie der hier.
    »Ich gebe die Adresse nicht heraus«, sagt er. »Wenn Sie etwas von ihr wollen, müssen Sie hierher schreiben.«
    Sie bleibt unschlüssig stehen, und er stichelt:
    »Möchten Sie was kaufen – oder?«
    Sie verabscheut diese Art, an einen Satz ein »oder« zu hängen. Das gehört nicht in unsere Syntax, denkt sie. Womöglich kommt dieses Phänomen schlecht gekleideter Männer, die zwar nicht erwachsen wirken, es aber sind, ursprünglich nicht aus Schweden. Wo waren sie, um sich diese Attitüde der Selbstgenügsamkeit zuzulegen? In Paris oder New York? Sind sie homosexuell?
    Um Zeit zu gewinnen und ihn möglicherweise doch noch zu erweichen, dreht sie eine Runde an den Regalen entlang und findet tatsächlich ein Buch, das sie haben möchte. Es steht in dem Regal mit Apelgrens alter Beschriftung THEOLOGIE UND RELIGIONSWISSENSCHAFT, und es ist Gustaf Wingrens Credo . Sie sagt, sie wolle dieses Buch kaufen, und schaut sich um, während er es in eine Tüte steckt.
    Dann versucht sie es noch mal. »Ich bin wirklich eine ganz alte Freundin von Barbro Andersson«, sagt sie. »Können Sie nicht so nett sein und mir ihre Adresse geben?«
    Diesmal antwortet er gar nicht, sondern reicht ihr nur die Büchertüte und sagt:
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