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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht
Autoren: Jessica Keener
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Abendessen. Sie trug perlenförmige rosa Ohrringe und summte. Nach einem freien Tag wirkte sie immer verändert, distanzierter. Zwei Nächte pro Woche schlief sie in Roxbury, einem armen Schwarzenviertel von Boston, das die Weißen mieden.
    Â«Was willst du, Sarah?», fragte sie mit haitianischem Akzent. Ihre Haut glänzte. Sie hatte hohe Wangenknochen und feuchte, strahlende Augen.
    Ich saß am Fenster und schaute auf die Einfahrt hinaus. Das zitronengelbe Licht aus Mickey Fineburgs Zimmerfenster blitzte durch die dicht gedrängten Tannen. Ich sah ihn nicht oft. Er war zwar in meinem Alter, ging aber auf eine Privatschule. Ich kannte den Tagesablauf seiner Familie. Zu unterschiedlichen Tageszeiten machte die weiße Hausangestellte der Fineburgs unterschiedliche Geräusche. Türen gingen auf und zu. Der Kombiwagen brummte, bevor er morgens aus der Einfahrt fuhr.
    Â«Irgendwas schwirrt dir gerade im Kopf herum. Das sehe ich doch.»
    Â«Ist es nicht schwer, irgendwo anders zu leben und dann wieder hierher zurückzukommen?», fragte ich.
    Sie nickte, sagte aber nichts. Als sie mit den Bohnen fertig war, schob sie ganze Kartoffeln in den Ofen und fragte mich, ob ich mit ihr fernsehen wollte. In ihremkleinen Zimmer neben der Küche setzte ich mich neben einen Korb mit rosafarbenen Lockenwicklern auf den Linoleumboden. Das Fenster hatte sie mit einem blauen Tuch verhängt. Es verdunkelte das Zimmer, tauchte es in weicheres, gemütlicheres Licht. Auf der Kommode stand ein Pappbecher, in dem sie ihre Ohrringe aufbewahrte. Sie saß hinter mir auf ihrem Klappbett. Gemeinsam sahen wir einen Film über den Wilden Westen auf ihrem Schwarz-Weiß-Fernseher, der auf einem Klappstuhl stand. In der Werbepause sagte ich, «du könntest meine Mutter fragen, ob du noch einen Tag frei bekommst».
    Sie schüttelte den Kopf. «Du versuchst immer, die Erwachsene zu spielen. Aber das hier ist meine Sache.»
    Â«Luanne!», rief Mutter aus der Küche.
    Luanne ging aus dem Zimmer. Vielleicht war ich noch nicht erwachsen, aber mit fünfzehn bekam man eben Dinge mit.
    Â«Wir brauchen noch einen Salat», hörte ich Mutter sagen.
    In Luannes Zimmer fühlte ich mich sicher, wie in einem wohligen Versteck. Ich wollte nicht gehen und sah mir den Film zu Ende an. Ich hörte das Klappern von Küchenutensilien. Vater kam nach Hause und knallte die Tür zu. «Jemand zu Hause?» Er ging in den Flur, um die Jacke aufzuhängen. Luanne lief immer wieder durch die Schwingtür, zwischen Küche und Esszimmer hin und her, wo sie den Tisch deckte. Dann hörten wir Mutter rufen: «Elliot, Peter, Robert, Sarah! Wascht euch die Hände. Das Essen ist fertig!»
    Nur wenig später, als der Winter sich am tiefsten in die Erde grub, und es schien, als würde er für immer bleiben,kam ich nach der Schule nach Hause, knallte die Bücher auf die Küchenablage und suchte Luanne in ihrem Zimmer. Seltsamerweise stand die Tür weit offen. Das Zimmer wirkte heller, die Ablage der Kommode war von Parfümfläschchen frei geräumt. Ich ging hinein. Das Tuch vor ihrem Fenster fehlte. Wo war der Becher mit den Ohrringen?
    Ich rannte die Treppe hinauf, wo ich Mutter in ihrem Zimmer antraf. Sie saß auf dem rot bezogenen Zweisitzer und las in einer Modezeitschrift.
    Â«Wo ist Luanne?»
    Â«Liebling, sie ist gegangen. Ich habe die Agentur angerufen. Nächste Woche schicken sie Ersatz.» Dann nahm sie die Lesebrille ab. «Sie hat gekündigt, Liebes.»
    Â«Warum?»
    Sie sagte, Luanne hätte einen Zettel geschrieben, auf dem etwas von einer anderen Arbeitsumgebung gestanden hatte. «Das soll mir recht sein. Ich habe sie immer für zu jung gehalten. Anders als du, Sarah. Du bist sehr weit für dein Alter, viel reifer als andere Gleichaltrige.»
    Fassungslos wandte ich mich ab von ihr. Vom Schlafzimmer meiner Eltern aus konnte man in alle Richtungen ein Stück vom Garten sehen, und es gab ein Ankleidezimmer mit Wandschränken. Es war ein großes Zimmer, aber auf einmal empfand ich es als erdrückend. Ich rannte hinauf unters Dach, wollte nachsehen, ob Peter schon zu Hause war. Ich war reif genug, um zu wissen, dass unsere Familie eine Katastrophe war, und ich wollte mit ihm darüber reden. Stattdessen stieß ich auf Elliot, der in seinem Zimmer mit kleinen Plastiktierenspielte. Dafür, dass er so klein war, konnte er sich gut alleine
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